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Unterleuten

Unterleuten

Roman

Info

Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf "Unterleuten" irgendwo in Brandenburg. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den kleinen Häusern, die sich Stadtflüchtlinge aus Berlin gerne kaufen, um sich den Traum von einem unschuldigen und unverdorbenen Leben außerhalb der Hauptstadthektik zu erfüllen. Doch als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist …

Mit „Unterleuten“ hat Juli Zeh einen großen Gesellschaftsroman über die wichtigen Fragen unserer Zeit geschrieben, der sich hochspannend wie ein Thriller liest. Gibt es im 21. Jahrhundert noch eine Moral jenseits des Eigeninteresses? Woran glauben wir? Und wie kommt es, dass immer alle nur das Beste wollen, und am Ende trotzdem Schreckliches passiert?

Pressestimmen

„Juli Zehs furchtlos vor jedem Klischee ins Herz der bundesrepublikanischen Wirklichkeit zielender Gesellschaftsroman ist ein literarischer Triumph.“
Denis Scheck / Der Tagesspiegel, 29.07.2016
"Juli Zeh hat mit "Unterleuten" den Roman der Stunde geschrieben: über die große Gereiztheit, über Politikverachtung und Resignation."
Volker Weidermann / Der Spiegel, 15.07.2016
"Mitreißend geschrieben, lebendig und spannend – ein großer Roman."
Natascha Geier / ARD Das Erste (ttt -titel thesen temperamente), 05.03.2016
"So kann Literatur sein: anregend, aufregend, amüsant, engagiert und voller Ungewissheiten."
Karin Grossmann / Sächsische Zeitung, 01.04.2016
"Um es mit einem Wort zu sagen: Juli Zehs neues Buch ist vorzüglicher Lesestoff. Spannend, lebendig, lehr- und kenntnisreich zum Platzen."
Ursula März / DIE ZEIT, 16.03.2016
"Ist das schon das Buch des Jahres? Juli Zeh legt bei ihrem neuen Verlag Luchterhand einen großen Gesellschaftsroman vor."
Jörn Meyer / BuchMarkt, 01.01.2016
"Ein meisterhafter Gesellschaftsroman, der sich wie ein Thriller liest und blutig endet."
Verena Lugert / Annabelle, 29.02.2016
"Fast möchte man „Unterleuten“ eine moderne Eulenspiegelei nennen, eine wunderbare Schelmengeschichte, nur dass hier viele Narren am Werk sind. Großartig."
Katja Weise / NDR Kultur, 05.03.2016
"Ein herrlich zynischer, brutal desillusionierender Roman gegen alle Landlebenverklärung."
FOCUS, 25.03.2016
"Ein Pageturner zum Nachdenken."
Andrea Braunsteiner / Woman, 29.02.2016
"Spannend wie ein Krimi und gleichzeitig ein großartiges Porträt vom Zeitgeist einer Sinn suchenden Gesellschaft am Beginn des dritten Jahrtausends."
Gabi Eisenack / Nürnberger Zeitung, 07.03.2016
"Enorm unterhaltsam und handwerklich raffiniert gemacht."
Christoph Schröder / Der Tagesspiegel, 12.03.2016
"Juli Zeh ist ein spannender, kritischer und kluger Roman gelungen."
Frank Statzner / hr-iNFO, 09.03.2016
"Zeh gelingen wunderbare, mit feiner Ironie und toller Beobachtungsgabe gezeichnete Porträtminiaturen. Sie vergisst darüber aber nicht, den spannenden Erzählfluss voranzutreiben."
Thomas Kliemann / Kölnische Rundschau, 07.03.2016
"Ein Bild gestriger und heutiger Zustände im Großen und im Kleinen, berührende und schreckliche Schicksale, eine Erzählung über Moral, Gemeinwohl und Eigeninteressen - ein Lesevergnügen."
Klaus Zeyringer / Der Standard, 11.03.2016
""Unterleuten" ist ein großer, zudem fesselnder Gesellschaftsroman."
Vanessa Loewel / RBB inforadio, 07.03.2016
"Die Konflikte um altes und neues Unrecht, um Untreue, Eifersucht und verpasstes Glück steigern sich zum echten Thriller."
Harald Jähner / Berliner Zeitung, 17.03.2016
"Unglaublich packend. Könnte eines der besten Bücher des Jahres sein."
Cosmopolitan, 11.03.2016
"Eine gnadenlos scharfsinnige und zugleich spannend zu lesende Gesellschaftsanalyse."
Olaf Schmidt / Kreuzer (Leipzig), 29.02.2016

Leserstimmen

(Durchschnittliche Bewertung / 71 Kundenrezensionen)
Sabine Winter, 15.03.2020
Der beste Film seit langem. Ausgesuchte Besetzung.
Volkhard Bartsch, 13.03.2020
Bartsch.rheinau@freenet.de
Ich sehe eigentlich nicht gerne 3 Teiler. ABER der war wirklich SUPER👌👍
Keith Surridge, 13.02.2018
Kunstvoll und spannend
Kunstvoll und spannend verkörpert in diesem Dorfroman von Juli Zeh von 2016 das fiktive brandenburgische Dorf „Unterleuten“ einen Mikrokosmos der Gesellschaft. Große Themen werden aufgeworfen und mit Witz und einer Art tiefgründiger Leichtigkeit gestreift: Systemanpassungen nach der Wende, alternative Energiequellen, Berliner Yuppies auf Großstadtflucht, Generationenkonflikte, korrupte Politiker. Spannung und Vielseitigkeit entsteht durch den ständigen Perspektivwechsel, denn jedes Kapitel ist aus der Sicht eines anderen Dorfbewohners geschrieben, nach dem es benannt ist. Juli Zeh zeigt in ihrem Roman einmal mehr, wie gut sie eine ausgefeilte psychologische Figurenzeichnung beherrscht. Wie wer sich gegenüber dem großen Investor verhält, der Parzelle um Parzelle Land zum Errichten eines großen Windparks aufkauft, das ist vergnüglich und lehrreich zugleich. Ränke und Intrigenspiel des Dorflebens erinnern an tagesaktuelle Intrigen auf dem politischen Parkett. Grüner Klimaschutz dient hier nur der Gewinnmaximierung, Aussteigen folgt eher nostalgischen Bedürfnissen als einem wirklichen Streben nach ländlicher Idylle. Dabei bleibt der Zynismus der Autorin immer menschenfreundlich und lebensbejahend.
Keith Surridge, 13.02.2018
Kunstvoll un spannend
Kunstvoll und spannend verkörpert in diesem Dorfroman von Juli Zeh von 2016 das fiktive brandenburgische Dorf „Unterleuten“ einen Mikrokosmos der Gesellschaft. Große Themen werden aufgeworfen und mit Witz und einer Art tiefgründiger Leichtigkeit gestreift: Systemanpassungen nach der Wende, alternative Energiequellen, Berliner Yuppies auf Großstadtflucht, Generationenkonflikte, korrupte Politiker. Spannung und Vielseitigkeit entsteht durch den ständigen Perspektivwechsel, denn jedes Kapitel ist aus der Sicht eines anderen Dorfbewohners geschrieben, nach dem es benannt ist. Juli Zeh zeigt in ihrem Roman einmal mehr, wie gut sie eine ausgefeilte psychologische Figurenzeichnung beherrscht. Wie wer sich gegenüber dem großen Investor verhält, der Parzelle um Parzelle Land zum Errichten eines großen Windparks aufkauft, das ist vergnüglich und lehrreich zugleich. Ränke und Intrigenspiel des Dorflebens erinnern an tagesaktuelle Intrigen auf dem politischen Parkett. Grüner Klimaschutz dient hier nur der Gewinnmaximierung, Aussteigen folgt eher nostalgischen Bedürfnissen als einem wirklichen Streben nach ländlicher Idylle. Dabei bleibt der Zynismus der Autorin immer menschenfreundlich und lebensbejahend.
kwilli, 01.02.2018
Unter Leuten - kein gutes Buch
Ich habe das Buch zuende gelesen, ausgeborgt. Kaufen würde ich es mir keinesfalls. - etwa die Hälfte der handelnden Personen hat nach meiner Meinung einen an der Waffel und ist weder früher, noch heute typisch für die Dorfbevölkerung. - Es ist in vielen Passagen zu langatmig geschrieben, was auch andere schon gemerkt und bemängelt habe. Eingedampft auf die Hälfte - bei Streichung alles unnötigen Beiwerkes- hätte es auch getan. Warum zum Beispiel muss man einen Autotyp genau benannt oder einen anderen Gegenstand genau beschrieben bekommen? Alles nutzloses Beiwerk. - Manche Episode dürfte auch mit dem Nichtwissen der Autorin über die DDR zu erklären sein, z.B. dass einem, nur damit er in eine LPG eintritt, ein Feuer gelegt worden ist. Hat die Autorin nicht erfahren können, dass manche Bauern ihre Hunde auf die Agitatoren aus der Stadt gehetzt haben? Ich selber habe in den 60er Jahren auch auf dem Dorf gelebt und bemerkt, dass es 3 bis 4 Jahre nach der Vollgenossenschaflichkeit auf dem Land eher die Grundstimmung gab: "Diese Genossenschaft hätten wir schon früher gründen sollen" - Auch die vielen Unglücks- und Todesfälle in wenigen Jahrzehnten sind unglaubhaft. Da hat sich Frau Zeh wohl zu sehr von Wunschträumen leiten lassen. Wenn Frau Zeh einmal sehen möchte, wie gute Literatur aussehen kann, dann sollte sie sich mal ein Werk von Landolf Scherzer durchlesen. Auch alles spannend, aber real und nicht abgehoben und ohne Spinnereien.
Kerstin Schneider, 29.01.2018
Juli Zehs, Unterleuten
Wieder mal ein mit Sprache jonglierendes Buch, was viele Charaktere und Gedankengänge aufzeigt und damit die vielen verschiedenen Sichtweisen und Probleme der Menschen und ihrem Bezug zueinander und der Natur. Danke, nach den ersten 60 Seiten war ich schon glücklich darüber, dass man mit seiner Beobachtung über Menschen, Gedanken und Umwelt nicht alleine steht. Trotzdem ist es ein Buch, das einen durch Wochen begleitet, weil es einen nicht übermäßig einnimmt oder die Konzentration dermaßen fordert,dass man es an einem Stück lesen muss.
Franz Opitz, 30.12.2017
Unterleuten - Gelesen und etwas enttaeuscht
Das Buch hat Charme, Witz und ist teilweise sogar spannend. Die Beobachtungen der Autorin sind sehr scharf. Ich habe es zunaechst mit Vergnuegen gelesen aber es war nie faszinierend, nie ein Buch, das man nicht auch mal ein oder zwei Tage weglegen kann. Teils ist das Buch furchtbar langatmig in der Detailbeschreibung, es gibt gelegentlich verbatim Wiederholungen und viele Szenarien sind sehr weit hergeholt. Von einem Bestseller haette ich viel mehr erwartet. Das Buch ist runde 150 Seiten zu lang. Kein Buch welches in meinem Schrank einen permanenten Platz bekommt.
Hannah, 18.09.2017
Eine schöne Unbehaglichkeit
Ein Buch, dass ich immer wieder verschlingen könnte. Während des Lesens habe ich die ganze Zeit einen Schauer des Unbehagens gespürt, weil gut und schlecht, falsch und richtig, böse und gut sich vermischt haben und jeder Mensch im Dorf Teil eines nicht entwirrbaren Geflechts ist, welches sich immer mehr verknotet. Achtung an Leute, die das Buch noch nicht gelesen haben (!): Kurz vor Krönchens Verschwinden liest Kathrin ein Buch, in dem ein Junge verschwindet und der Vater in der Situation unglaublich verzweifelt. Ist das eine Anspielung auf "Schilf" ?
Saskia, 20.08.2017
[Kurzrezension] Unterleuten von Juli Zeh
DIE BEWERTUNG Meinung: Mit beeindruckendem Detailreichtum erzählt die Autorin amüsant und sehr komplex von den Eigenheiten der menschlichen Psyche! Kurzrezension: Als bekennende Juli Zeh Verehrerin war dieser Roman ein Fest, aber auch gleichzeitig sehr herausfordernd für mich. Dieser Roman wird oft als Gesellschaftsroman verstanden, aber ich finde, er ist gleichzeitig mehr und weniger davon. Dieser Roman zeigt nicht nur gegenwärtige gesellschaftliche Brüche auf, sondern viel mehr die Grundzüge aller menschlicher Existenz. Das Cover ist sehr zurückhaltend gestaltet, nur ein Vogel ist zu sehen, während dem Namen der Autorin sowie dem Titel deutlich mehr Präsenz zukommt. Der Vogel ist eine Andeutung auf den Vogelschutzbund, der Titel wird in Großbuchstaben auf zwei Zeilen präsentiert. Hier lässt sich noch nicht erkennen, ob es sich um zwei oder nur ein Wort handelt. Dass es um ein zusammengesetztes Wort und ein Dorf geht, kann der unwissende Leser erst auf den ersten Seiten des Buches erfahren. Unglaublich beeindruckend an dem Buch ist, wie Juli Zeh es schafft, ihre Figuren so lebendig sein und agieren zu lassen. Alle Protagonisten der Handlung haben Geheimnisse, die sie verstecken, Probleme, die sie nicht wahrhaben wollen und Schwierigkeiten, die an die Oberfläche gelangen, als der Konflikt im Dorf Gestalt in Form von einem erst entstehenden Windpark annimmt. Zeh stellt die brachiale Gewalt der Emotionen in den Raum, sodass von Beginn an klar ist, es muss auf eine gewalttätige Eskalation folgen. Und der Leser wird dabei nicht enttäuscht. Das Buch ist sehr überlegt aufgebaut und die einzelnen Kapitel sowie die Perspektivwechsel tragen dazu bei, dass die schwelenden Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden können. Wie auf dem Seziertisch verfolgt man die Figuren mit ihren eigennützigen Plänen und ahnt bereits, wie diese Egozentrik Unterleuten zum Untergang verdammt. Die Perspektivwechsel sind die Grundlage für die unglaubliche Sogwirkung des Romans. Je mehr Personen für sich sprechen, desto interessanter wird die Handlung. Es ist wie ein Puzzle, welches der Leser zusammensetzen soll. Gleichzeitig spielen diese Perspektivwechsel mit den Erwartungen des Lesers. An einigen Stellen erfährt er, etwas Wichtiges, wenn eine Figur spricht, an anderer Stelle, wenn sie nicht mehr spricht und „abgeht“, wird ihm Wissen verweigert. Trotz der auktorialen Erzählerin, die erst zum Ende hin als Figur eingeführt wird und somit als Chronistin der Handlung dient, sind die einzelnen Perspektiven extrem subjektiv. Dadurch werden in dem als großen Gesellschaftsroman weniger Fragen beantwortet als aufgeworfen. Zudem spielt der Roman mit den Grenzen von Imagination und Realität, denn all unsere Handlungen gründen schließlich auf Imagination, wie all die Figuren im Roman beweisen. Sprachlich gesehen bleibt Unterleuten eher hinter Zehs anderen Werken zurück. Das liegt vor allem an dem schnellen Tempo des Geschehens und der Sätze selbst. Alles ist auf den überspitzten Konflikt hin komponiert, die Sprache ist glatt und liest sich schnell und ohne Stolperfallen. Sie ist so gut durchkomponiert, dass es immer weitergehen muss bis zum unweigerlichen Cliffhänger des Kapitels. Ein Spiel mit realer Lesezeit und imaginierter Zeitwahrnehmung im Handlungsgeschehen. Um das Ganze noch auf die Spitze zu treiben, entstand eine Homepage, die sich mit genau dem Thema Metafiktion beschäftigt. Hier werden der Roman, das Dorf und die Menschen darin vorgestellt. Zudem gibt es echte Internetadressen der Buchinhalte wie beispielsweise der Internetauftritt des Vogelschutzbunds aus Unterleuten. Ein Phänomen, welches nicht so häufig bei Gesellschaftsromanen oder belletristischen, dafür aber bei publikumswirksamen Büchern umso verbreiteter ist. Hier spiegelt sich die Realität in der Fiktion und umgekehrt. Wessen Egozentrik liegt dann eigentlich auf dem Seziertisch? Fazit: „Unterleuten“ zu lesen macht trotz der schnelllebigen Sprache richtig Spaß. Gleichzeitig bringt es den Leser zum Nachdenken und versucht ihn zu fragen, was die wichtigen Dinge und Fragen im Leben sind. Denn Zeh zeigt sehr offen durch ihre handelnden Figuren, wie unsere Zeit, unsere Gesellschaft gestrickt ist. Ein Lesevergnügen, das 4,5/5,0 Punkten verdient. An dieser Stelle bedanke ich mich bei der Verlagsgruppe Random House, für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.
Martina Meyen, 28.05.2017
Ein Blick hinter die Idylle
Ein kleines Dorf in Ostdeutschland hat sich Juli Zeh für ihre Gesellschaftsanalyse ausgesucht und ihm den treffenden Namen „Unterleuten“ gegeben. Schon an diesem Titel erkennt man, wie geschickt sie mit Sprache umgeht. Juli Zeh hat ihren Roman in sechs Teile gegliedert und lässt in 62 Kapiteln ein knappes Dutzend der Dorfbewohner zu Wort kommen. Und so schwappt nicht nur die Vergangenheit allmählich ans Tageslicht, sondern ich als Leser betrachte das Ganze ständig aus einem anderen Blickwinkel. Das macht die Faszination dieses Dramas aus, denn genau das ist es für mich. An dieser kleinen Dorfgemeinschaft stellt Juli Zeh sehr anschaulich dar, wie jeder nur an seinen Vorteil denkt und sich dabei auch noch im Recht fühlt, wie jeder gegen jeden intrigiert und die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen. Die Handlung bewegt sich dabei kontinuierlich weiter und kann auch mit einigen Thrillerelementen aufwarten. Denn mit Cliffhangern geizt Juli Zeh absolut nicht. Die Personen waren mir allesamt zunächst unsympathisch, das muss man auch mal schaffen. Und je mehr ich über jeden einzelnen erfahren habe, um so mehr verschwammen die Grenzen zwischen Antipathie und Sympathie. Sprachlich finde ich Unterleuten absolut brillant, der Schreibstil ist zweideutig, sarkastisch, humorvoll und auch spannend und bei all der Vielseitigkeit doch gut zu lesen. Ich mag schöne Sprache, aber ich muss passen, wenn es zu kompliziert oder zu abgehoben wird. Das ist es hier ganz und gar nicht der Fall. Ich bin beeindruckt von so viel Zweideutigkeit, von so vielen Sätzen, bei denen ich erstaunt die Augenbraue hebt um dann beim zweiten oder dritten Lesen das gesamte Zwischenspiel zu erfassen. Das ist schon genial und mir in dieser Form noch nicht bewusst begegnet. Vordergründig geht es natürlich um den geplanten Windpark und wie jeder am besten seinen Vorteil daraus zieht. Aber gleichzeitig hat Juli Zeh noch viele andere Themen angesprochen wie die Stadtflucht, Ehekrisen, Schuld und Sühne und die Verarbeitung der DDR Geschichte. Mir ging es beim Lesen nicht immer gut, manches zog sich, einige Figuren blieben etwas blass und manchmal waren mir die gemeinen Intrigen einfach zu viel. Unterleuten ist alles andere als ein Wohlfühlroman und hat das Potential, romantische Vorstellungen vom Landleben zu zerstören. Aber über allem steht dann doch die brillante Sprache, die ich in vollen Zügen genossen habe und eine Story, die man nicht so schnell vergisst. Fazit: Landleben ist nicht immer idyllisch und schöne Sprache beschreibt nicht immer schöne Dinge. Mit Unterleuten hat Juli Zeh mir einen Blick hinter die Idylle gewährt und ein Gesellschaftsbild gezeichnet, das mich sehr nachdenklich gemacht hat.
Kati, 22.05.2017
Mit Leuten - Unter Leuten
Beim Titel „Unterleuten“ setzte ich im Kopf zunächst ein Leerzeichen dazwischen – unter Leuten. Der Titel ist bewusst gewählt, denn auch wenn Unterleuten ein fiktives Dorf ist, geht es genau darum. Leben unter Leuten, auf dem brandenburgischen Land. Ein Hipster-Pärchen aus Berlin – er alternder Dozent, sie seine junge Studentin und inzwischen auch Mutter seines Kindes – leben den Traum, den viele Großstadtpaare, die Eltern geworden sind, träumen, und ziehen aufs Land. Ins ehemals ostdeutsche Hinterland, sozusagen. Dort ist man von Neuankömmlingen und generell allem, was neu ist, wenig begeistert, und vor allem eines: skeptisch. Denn: früher war alles besser. Ging seinen gewohnten Gang. Man wusste, wer man war, und wohin man gehörte, hatte einen Job, hatte Familie. Hatte vielleicht nicht die größten Perspektiven, aber einen Platz und einen Nutzen. Dann kam die Wende. Jobs gingen verloren, Familien zerfielen, Traditionen wurden gebrochen und so manch einer der Dorfbewohner hat seinen Sinn im Leben aus den Augen verloren. Der alternde Dozent nimmt eine Stelle als Vogelschützer an, seine Freundin hingegen merkt, dass die anfänglich idyllische Vorstellung vom ruhigen Leben auf dem Land mehr als fragil ist. Zu guter Letzt soll rund um den Ort nun auch noch ein Windpark errichtet werden – der Vogelschützer geht auf die Barrikaden und die Lage im Dorf eskaliert. Genormt, bespaßt und verwaltet – eine Bürgerherde. Die Handlung des Buches ist vielleicht keine ganz neue, keine ganz außergewöhnliche. Bei Zehs Romanen ist das häufig so – sie leben von der detaillierten, auf den Punk gebrachten Beschreibung der Charaktere – so auch in diesem Roman, der aus der Sicht der verschiedenen Bewohner erzählt wird. Hierbei wird keine der Figuren weichgezeichnet, idealisiert oder stigmatisiert, viel mehr beginnt der Leser, Verständnis aufzubauen – für Wendegewinner, Wendeverlierer und gänzlich unbetroffene, zugezogene. Für Bauern und Unternehmer, die ihre fast schon traditionsgewordene Fehde weiter kultivieren, obwohl keiner so Recht weiß, worin diese ihren Urpsprung hat. Für eine Mutter, die nur das Beste für ihr Kind will, und darüber vergisst, was sie eigentlich möchte. Für den Nachbarn einen Zaun weiter, der rücksichtslos in ihren Wohnraum eindringt. Für Affären, für Totgeschwiegenes, für Bürgermeister- und für Bürgerinteressen. War denn der Kommunismus eine so schlechte Idee, wenn ein alteingesessenen Ostdeutschen, der vergangenen Zeiten hinterhertrauert und diese idealisiert, aktuelle Entwicklungen so pointiert kritisiert, dass man kurz stockt und sich denkt: Recht hat er? Unterleuten ist ein wirklich großartiger Roman, dabei aber ganz unaufgeregt. Ein Pageturner, den man aber trotzdem zwischendurch aus der Hand legen kann -und vielleicht auch muss – um die Geschehnisse nachwirken zu lassen. Zwischen den Zeilen wird so vieles angesprochen, wird Kritik an so vielen aktuellen Entwicklungen geübt, dass jeder etwas aus diesem Buch für sich mitnehmen kann. Best-Bewertung dafür von mir und eines der Bücher, das im Regal bleiben darf – auf Lebenszeit.
Goldene Seiten , 08.05.2017
Volltreffer
Warum es sich zu lesen lohnt: 2016 ist noch nicht ganz vorbei, ich lege mich dennoch schon jetzt fest: "Unterleuten" ist das Beste, was ich in diesem Jahr gelesen habe. Volltreffer. Juli Zeh beschreibt ein Dorf und seine BewohnerInnen mit ihren Lebensentwürfen, Moralvorstellungen, familiären Verstrickungen, Sehnsüchten und politischen und persönlichen Interessen. Ich habe einen Faible für Bücher, in denen Geschichten aus verschiedenen Perspektiven erzählt werden. In diesem Buch kommen kapitelweise verschiedene Personen, die in Unterleuten leben, zu Wort und beschreiben die Situation in dem kleinen Dorf aus ihrer Sicht. Die Charaktere, die bisweilen Klischees erfüllen, und die Themen des Dorfes, lassen sich problemlos auf unsere Gesellschaft übertragen. Eine Mutter, die nur das Wohl ihres Kindes im Sinn hat und vom Leben auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird. Ein Umweltschützer, dem die Kraniche dann doch im letzter Konsquenz egal sind. Eine Pferdenärrin, die vor Ehrgeiz und Selbstbeherrschung strotzt und ihre Interessen durchsetzt, egal wie. Eine durchgeknallte Alte, die mit 20 Katzen in einem Haus lebt. Ein Bürgermeister, der nur das Beste für sein Dorf im Sinn hat. Und ein Energiekonzern, der einen Windpark in Unterleuten errichten will. Juli Zeh ist es gelungen einen Gesellschaftsroman zu schreiben, der sich wie ein Krimi liest. Großartig.
Martina Kämpfe, 21.04.2017
Ganz im Ernst: Nichts für Tierliebhaber
Zu dem Buch ist viel Lob gesagt worden. Ich habe es empfohlen bekommen und mit Interesse gelesen, Interesse nicht an Stadt-Land-Kontexten oder Umweltschutz, sondern an der Frage, wie eine Autorin ihre vielschichtigen Figuren und Probleme letztlich auflöst. Gut gelungen ist die spannende Erzählweise, das Buch trägt durchaus krimihafte Züge, aber insgesamt ist mein Eindruck nicht nur positiv. Einiges finde ich (zu) konstruiert, man fragt sich an mehreren Stellen unweigerlich, ob sich Leute tatsächlich so verhalten würden. Fiktive Personen sind Sache des Künstlers, wo er ggf. künstlich übertreibt, das gehört dazu, allerdings wirft dieses Mittel dann auch die Hinterfragung auf, ob es für die Erzählung der Story nötig ist. Und damit ist man bei der Plausibilität der Charaktere und der Gesamtgestaltung. Bei den zahlreichen Grausamkeiten in diesem Buch kommt man oft an diesen Fragepunkt. Stellvertretend nur ein Bsp. vom Schluss: dass Fidi, die Hündin, derart verabschiedet wird, finde ich unnötig grausam und auch unplausibel, was das Verhalten der betroffenen Personen betrifft. Paradoxerweise verhält sich der Mensch ja bekanntlich zu Tieren menschlicher als zu seiner eigenen Gattung, zumindest in konkreten Mensch-Tier-Beziehungen, wie es bei der Hundehaltung ja besonders der Fall ist. Die (abstrakte) Arterhaltung einer bedrohten Vogelart, die im Buch ja auch Thema ist, interessiert hingegen ja meist nur "abstrakt" eben Tierschützer. Die Farce dieser Art Tierschutz wird wiederum gut herausgearbeitet.
Travel Without Moving, 18.03.2017
"Mit dem Dorf stimmt was nicht. Ganz massiv."
Das brandenburgische 200-Seelen-Dorf Unterleuten wirkt auf den ersten Blick wie die perfekte Idylle: Obstbäume, eine Dorfgemeinschaft, die sich schon lange kennt, Natur pur. Doch unter der Oberfläche brodeln Konflikte, die weit zurück in die Vergangenheit der Dorfbewohner führen und die sich dramatisch verstärken, als ein Windpark in unmittelbarer Nähe des Dorfes errichtet werden soll. Bald machen sich die verschiedenen Konfliktparteien gegenseitig das Leben schwer, und das idyllische Unterleuten wird immer mehr zur Hölle. Juli Zeh hat mit Unterleuten einen Gesellschaftsroman über das 21. Jahrhundert geschrieben, in dem nur noch der Einzelne zählt und die Gemeinschaft immer mehr zerfällt. Dabei gelingt es ihr hervorragend, dem Leser das Leben in Unterleuten nahe zu bringen, indem sie ihre Protagonisten detailreich und lebensnah zeichnet und die Beziehungen zueinander mit viel Feingefühl herausarbeitet. Auch wenn der Roman im Verlauf bisweilen Längen aufweist, fand ich die Art und Weise, wie Zeh ihren Protagonisten Leben einhaucht, beeindruckend, denn jede einzelne Figur wurde komplex gezeichnet und beschrieben, wobei man anfangs sympathische Personen im Verlauf bisweilen für abstoßend hält und initial widerwärtige Menschen nach und nach besser verstehen und akzeptieren kann. Diese vielschichtigen Protagonisten empfand ich als extrem spannend und zusammen mit den verflochtenen Beziehungen zwischen ihnen als Höhepunkt des Romans. Auch die Schilderungen der Handlungsorte sind Zeh außerordentlich gut gelungen, und beim Lesen fühlt man sich des Öfteren nach Brandenburg versetzt. Sprachlich empfand ich Unterleuten als anspruchsvoll, ohne dass sich der Roman sperrig lesen ließ. Vielmehr handelt es sich um ein flüssig lesbares Buch, das sprachlich sehr natürlich wirkt und inhaltlich packend ist. Juli Zeh: Unterleuten. Luchterhand Literaturverlag, 2016, 639 Seiten; 24,99 Euro.
Silke Wagenitz, 26.01.2017
Grandios
Ich bin mitten ins Herz getroffen. Unterleuten ist überall um mich herum. Als Brandenburgerin bin ich fassungslos, wie die mich umgebende Gesellschaft punktgenau offen gelegt wird. Ich bin begeistert von dieser Sprache, diesem sprachlichen Humor und dieser treffsicheren Beschreibung der gegenwärtigen Verhältnisse. Ich befinde mich mitten drin in diesem Unterleuten und freue mich an der Leichtigkeit die mir durch dieses Buch vermittelt wird, manches bisher schwer zu ertragende nun mit einem Schmunzeln zu lassen.... DANKE!
Bingereader, 17.11.2016
Unterleuten
Juli Zeh ist eine der wenigen deutschen Autoren, von denen ich jedes Buch lese und am liebsten gleich, wenn es vom Stapel läuft. Ein Roman über ein Dorf in der Provinz ist nun normalerweise nicht das, bei dem ich atemlos und vor Freude jauchzend zugreife, denn als arroganter Städter klingt das für mich in etwa so attraktiv wie tot überm Zaun hängen (sorry, not sorry). Aber gut, wenn Frau Zeh das zum Thema macht, dann eben auch Dorf, Provinz, Ornithologen, junge Mütter und Windräder. „Die jungen Leute von heute besaßen erstaunliche Talente. Zum Beispiel ungeheure Effizienz bei vollständiger Abwesenheit von Humor.“ Und wer hat nicht selbst genügend Erfahrungen mit dysfunktionalen Beziehungen, mit Idealisten, die dann doch irgendwie auf die Dark side gewandert sind, mit anstrengenden Hipstern, mit den dauerpolitisierenden vermeintlichen Sieger- oder Verlierertypen. Wer sich also mindestens einmal zu entsprechenden Erfahrungen bekennen muss, der wird wahrscheinlich einen Großteil von sich selbst und seinem Bekanntenkreis in dem Protagonisten-Reigen des Romanes wiederfinden. Ok, es macht vielleicht nicht immer unbedingt Spaß, den Spiegel vorgehalten zu bekommen und man sich sieht in seiner verknitterten, augenberingten Glorie, aber da muss man durch. Frau Zeh ist da unerbittlich, in Technicolor und 3D beleuchtet sie die Düsternis in der vermeintlichen Idylle des Dorfes „Unterleuten“. Windräder spalten ein ganzes Dorf, die zugezogenen Natur-Naivlinge wünschen sich unveränderte Naturschönheit, sie sind schließlich nicht aus der Stadt weggezogen um jetzt wieder mit dem Fluch des Fortschritts konfrontiert zu werden, die knorrigen Dörfler hoffen auf Geld und Zukunft für ihr Dorf und man fragt sich ständig während des Lesens, wo würde man selbst wohl stehen. „Was ihn so gebannt zu hören ließ, war die Art, wie Frederick und Lina miteinander sprachen. Die beiden gehörten zu einer fremden Spezies. Nichts an ihnen war gedämpft. Nichts an ihnen war unsicher, zurückhaltend, zweiflerisch oder bescheiden. Diese jungen Menschen, in Meilers Augen halbe Kinder, agierten als Repräsentanten eines neuen Jahrhunderts. Sie arbeiteten nicht mehr für Vorgesetzte. Sie kannten keine überheizten Büros, keine grauhaarigen Sekretärinnen und keine Telefone, die über Kabel mit der Wand verbunden waren. Sie kannten keine Abteilungen und deren Abteilungsleiter, keine kurzen und lange Dienstwege und auch nicht den Geruch von frisch gesaugten Teppichböden, der die Arme schwer, den Rücken krumm und die Schritte langsam machte. Sie waren selbständig, selbstsicher, selbstsüchtig, wandelnde Selfies, zwei dauerbewegte Selbstporträts. Wenn sich Meiler die neue Generation vorstellte, sah er eine Armee von jungen Leuten mit ausgestrecktem rechten Arm, nicht zum Führergruß, sondern um das eigene Gesicht mit dem Smartphone aufzunehmen. Zeh versteht es, die Dynamiken dieses Mikrokosmos zu erfassen und jeder der Charaktere des Romans hat Substanz und ist glaubhaft, ganz egal welchen Hintergrund oder welches Alter eine Person hat. In keinem ihrer Romane hat Zeh mich so sehr an Franzen erinnert wie in diesem, in der Dichte, Länge und auch im Anspruch habe ich mich häufiger an „Freedom“ erinnert gefühlt. Zeh läßt uns durch ein Kaleidoskop schauen, jedes Mal wenn man glaubt erkannt zu haben, was Sache ist, gibt es eine neue überraschene Wendung. Im Grund geht es auch in „Unterleuten“ um Freiheit, persönliche und gesellschaftliche, wie wir sie ausleben und die daraus entstehenden Konsequenzen. Mir hat „Unterleuten“ trotz oder wegen der dörflichen Provinz sehr gut gefallen. Gut geschrieben, spannend, humorvoll auch wenn keine der Figuren einem wirklich ans Herz wächst und sie eigentlich alle mehr oder weniger bemitleidenswert sind. Ich freue mich schon jetzt auf ihr nächstes Buch. Gewinner gibt es keine in diesem Roman, so ist es wohl das Leben in der Provinz und Juli Zeh muss das wissen, die ist schießlich vor ein paar Jahren ins Havelland gezogen. Hier noch eine weitere Rezension zu „Unterleuten“ von Brasch & Buch, der auch ein Interview mit Erfolgsguru Manfred Gortz geführt hat😉
Burgherr, 12.11.2016
Interessante und spannende "Milieustudie"
Immer wenn ich mal wieder gar nicht weiß was ich lesen soll, greife ich zu Genres oder Titeln, die mir denkbar fremd sind. Der Verlag nennt "Unterleuten" einen Gesellschaftsroman, ich kann mich nicht erinnern, jemals zu einem solchen gegriffen zu haben. Vom Leben in einem ostdeutschen Dorf hatte ich nur dunkle Vorstellungen. So erschien "Unterleuten" auf den ersten Blick als "mutige" Wahl mit Aussicht auf Erkenntnisgewinne. Und ich wurde in jeder Hinsicht positiv überrascht. Im Kern geht es in "Unterleuten" um den Bau von Windkrafträdern auf dem Gebiet der brandenburgischen Gemeinde Unterleuten. Daraus macht Juli Zeh einen Roman über 600 Seiten mit ca. 30 handelnden Personen. Zuerst subtil und später offensichtlich entwickelt sich eine spannende Geschichte. Es will schon etwas heißen, wenn ich ein Hardcover dieses Gewichts zeitweise ins Reisegepäck aufnehme. "Zugezogene" (u. a. ein Vogelschützer, angelockt von den Kampfläufern und Stadtflüchtlinge auf der Suche nach ländlicher Idylle) treffen auf alteingesessene Dorfeinwohner und zudem verfolgt ein westdeutscher Investor seine Agenda. Die Konflikte sind vorprogrammiert. Und dann gibt es noch den Zwist zwischen den Alphatieren des Dorfs, der bis in DDR-Zeiten zurückreicht. Die Kungelei um die Windräder und die geschickte Verstrickung der Lebenswege der Dorfbewohner ergeben zusammen eine Geschichte, die zwar nicht ganz ohne Klischees auskommt, aber trotzdem sehr realistisch erscheint. Die Erzählweise der erfolgreichen Autorin Juli Zeh wird ihrem Ruf gerecht. So wird z. B. an der Figur der ehrgeizigen Linda Franzen gezeigt, wie sich der Glaube an "Lebenshilfe- und Motivationsbücher" auswirkt. Als Vorlage hält das reale Buch "Dein Erfolg" von Manfred Gortz her. Realität und Fiktion verschwimmen in "Unterleuten" immer wieder. Auf der Website zum Buch werden das Dorf und seine Bewohner vorgestellt, selbst auf die Website der Dorfkneipe wird verwiesen. So sehr den Geschichten und Charakteren Raum für ihre Entwicklung gelassen wird, so sehr überschlagen sich gegen Ende die Ereignisse. Diese Beschleunigung hätte ich nicht gebraucht. Trotzdem gibt es von mir eine nachdrückliche Leseempfehlung. An "Unterleuten" kann wirklich jeder Leser Gefallen finden. Trotz der 635 Seiten wird die Geschichte allerdings nicht für den ganzen Winter reichen, dafür liest sich das Buch einfach zu schnell und zu gut.
Ft, 01.11.2016
Unterlegten ist überall
Ein tolles, spannendes und realistisches Buch. Wenn man selbst aus der Stadt aufs Land gezogen ist, stellt man fest, dass es viele Parallelen gibt. Unterlegten ist Realität gleich wo in Deutschland.
Gela, 21.10.2016
Authentisches Dorfleben
Fernab von aller Großstadt-Hektik liegt das Dorf "Unterleuten" in Brandenburg. Hier kennt noch jeder jeden und Zugezogene haben es nicht leicht, denn wer sich nicht an die dörflichen Regeln hält, wird zum Außenseiter. Ein geplanter Windpark und die damit verbundenen Flächennutzungen lassen das Geflecht aus ungeschriebenen Schuldverhältnissen und gegenseitigen Gefälligkeiten auseinanderfallen. Jeder will ein Stück des Kuchens ergattern und bringt damit das Dorfgefüge ins Wanken. Lange unterdrückte Missgunst, alte DDR-Seilschaften und falschen Ambitionen von Neubürgern ergeben eine explosive Mischung. Juli Zeh beschreibt ein Dorf, das sicherlich viele schon so vor Augen hatten. Auf den ersten Blick eine ländliche unberührte Idylle, die man erst auf der Karte suchen muss. Die 250 Bewohner lieben es schlicht und ruhig. Die ehemalige LPG, jetzt ein Agrarbetrieb mit Bio-Siegel ist der einzige große Arbeitgeber weit und breit. Neu ist der Aufwand, der um das Buch herum betrieben wurde. Die Autorin sagt selbst über das Buch: "'Unterleuten' hatte von Anfang an die Tendenz, über die Buchdeckel hinaus zu wuchern." Im Internet findet man eine eigene Website http://www.unterleuten.de/, die nicht nur das Dorf mit Ortsplan und die Bewohner akribisch genau in Steckbriefen beschreibt, sondern auch Medien wie facebook und youtube nutzt, um Charaktere des Buches "lebendig" werden zu lassen. Zum Verständnis der Handlung sind diese zusätzlichen Angebote aber nicht erforderlich. Nach Veränderung strebt in Unterleuten niemand. Die Charaktere sind nicht sympathisch, glatt und nett anzuschauen, sie polarisieren. Jeder hat sich sein eigenes kleines Weltbild geschaffen und lässt daran nicht rütteln. "Am liebsten sprach er davon, dass das Drama der modernen Politik im fanatischen Streben der Menschen nach Veränderung liege. Die Menschen von heute konnten nichts lassen, wie es war, auch das Gute nicht. Wenn etwas funktionierte, machten sie es mit ihrer Änderungswut kaputt, bis es wieder Probleme gab, mit deren Lösung sie sich profilieren konnten." Die Handlung, die nicht mehr als zwei Monate (Juli und August 2010) einnimmt, überrascht durch immer neue Wendungen. Man bewegt sich von der Oberfläche in immer tiefere menschliche Abgründe. So wie man seinen Nachbarn vermeintlich kennt, hat man auch bei den Unterleutenern schnell Schubladen geöffnet und sich eine Meinung gebildet. Doch es kommt anders, dramatisch und unvorhersehbar. Das Spiel um Missverständnisse und Schuldzuweisungen wird von der Autorin gekonnt inszeniert. Ein gesellschaftskritisches Lesevergnügen der besonderen Art.
Kerstin Lück, 31.08.2016
Personenentwicklung im Bonustrack
Ein großartiger fein komponierter Roman. Ich habe mich dazu hinreißen lassen, die Figuren weiterzuentwickeln, um ihr Potential zu konstruktiven Lösungen auszuloten. Der Bonustrack zu einem Roman, der wie kein anderer das Konfliktverhalten von Dörflern wie Städtern, Ossis und Wessis, Männern und Frauen aufspießt. Außerdem habe ich viel über LPG-Umwandlungen nach der Wende bei den Recherchen für meinen Blog gelernt. Ein heißes Thema. Danke Juli Zeh.
Prof.Dr.Caterina Maderna, 11.08.2016
Ein großartiges Buch!
Selten habe ich eine so intelligente und feinfühlige, die Perspektiven so vieler 'Prototypen' unserer Gesellschaft bis in die Tiefe auslotende Analyse in einer derart reichen, zum Schmunzeln ebenso wie zum ernsthaften Nachdenken anregenden Sprache verfasst, gelesen! Ich bin begeistert.
Nomadenseele, 10.08.2016
Gerne 10 Sterne
Gombrowski, der sich für das Dorf und dessen Wohlergehen einsetzt und trotzdem angefeindet wird. Sein Gegenspieler Kron, der in der DDR schon ein 100%er war. Hilde, mit ihren 20 Katzen. Jule und Gerhard, ein Akademiker - Pärchen, welches so gar nicht aufs Land gehört, sich dies aber nicht eingestehen möchte. Und Linda und Frederic, die Pferdefrau, er Software-Entwickler. Dazu kommen dann noch Nebenfiguren wie die Kinder der genannten und Nachbar Schaller, der seine Nachbarn mit brennenden Autoreifen einnebelt. Andauernd befinden sich die Charaktere *unter Leuten* und gegenseitiger Schuld und Abhängigkeit. Wie ein Thriller liest sich der Roman um altes und neues Unrecht, zerplatzte Träume, Untreue und Eifersucht. Sehr bitter war das Ende des Romans, welches nur Beschädigte kennt, zudem hätte ich mir einen anderen Gewinner beim Tauziehen um das Gelände gewünscht. Zwei Ungenauigkeiten habe ich gefunden, auf Seite 627 ist von Walfischen die Rede, dabei sind dies Säugetiere und die Olympiade ist die Zeit zwischen den Olympischen Spielen und nicht die Spiele selbst (Seite unbekannt). Fazit Ein faszinierender Roman über die Komplexität menschlicher Beziehungen.
Inas Bücherkiste, 30.07.2016
Ein Dorf ist gegen Windkraft - oder auch nicht
Manche Entscheidungen wollen wohlüberlegt sein. Auch die, in ein kleines, entlegenes Dorf zu ziehen. Alle, die von einem idyllischen Landleben, hilfsbereiten Nachbarn, einer Dorfkneipe und ganz viel Ruhe träumen, empfehle ich Unterleuten. Der große Gesellschaftsroman von Juli Zeh räumt nachhaltig auf mit der Dorfromantik, wie sie sich Stadtmenschen gerne er träumen. Das Dorf Unterleuten mit seinen 250 Einwohnern mitten in Brandenburg gibt es zwar nicht, aber bei näherem Hinsehen stellt man fest, dass es stellvertretend für zahlreiche andere Dörfer steht. So oder so ähnlich. Unterleuten wirkt wie aus der Zeit gefallen: Es gibt weder eine Arztpraxis noch eine Schule, kein Internet, und die Renten der alten Bewohner sind so klein, dass der Tauschhandel blüht. Doch da geht es nicht um Geld gegen Naturalien, sondern um „Eine Hand wäscht die andere“. Probleme werden innerhalb der Dorfgemeinschaft gelöst, die Polizei wird nicht gebraucht. Alles, was außerhalb des Dorfes passiert, ist für die Bewohner uninteressant. Aber auch ein auf den ersten Blick so rückständiges Dorf verändert sich. Es kommen neue Menschen hinzu, die sich hier ein „neues Leben“ aufbauen wollen. Da ist zum Beispiel der frühere Soziologieprofessor Gerhard Fließ, der als neuer Mitarbeiter des Vogelschutzbunds Unterleuten Gefallen daran findet, bei jedem Bauantrag beinahe zwanghaft Einspruch einzulegen, weil er die Existenz des seltenen Kampfläufers bedroht sieht. Man muss kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass er sich damit keine Freunde und das Leben zur Hölle macht. In seinem Schlepptau sind seine 22 Jahre jüngere Ehefrau Jule und ihre gemeinsame sechs Monate alte Tochter Sophie. Jule war bei Gerhard Studentin und muss im Verlauf der Handlung erkennen, dass ihr Mann ein anderer Mensch ist, als sie geglaubt hat. Doch auch Linda Franzen, die mit ihrem Freund Frederik Wachs ein heruntergekommenes Gutshaus gekauft hat, das sie jetzt renovieren will, ist mit ihrem ausgeprägten Ehrgeiz ein Fremdkörper in der Dorfgemeinschaft. Ihr ist fast jedes Mittel recht, um an eine Baugenehmigung zu kommen, die es ihr möglich macht, einen Stall für ihr Pferd Bergamotte zu bauen. Hat es etwas zu bedeuten, dass alle vorherigen Bewohner des Gutshofs nur kurz dort gelebt haben, weil es sie frühzeitig dahingerafft hat? Konrad Meiler ist der große Unbekannte des Dorfes. Er hat bei einer Versteigerung riesige Flächen rund um Unterleuten gekauft, ohne zu wissen, was er damit tun soll. Doch seine Ratlosigkeit dauert nur kurze Zeit. Wohnen wird er dort nicht. Die Zugezogenen sehen sich den Alteingesessenen gegenüber, die teilweise seit Jahrzehnten ihre Konflikte so ausdauernd pflegen wie andere Leute einen seltenen Bonsai. Die Unterleutener, die schon zu Zeiten der DDR dort gewohnt haben, sind in einem von außen nur mühsam zu durchschauenden Beziehungs- und Abhängigkeitsgeflecht miteinander verbunden, in dem Alte gegen Junge, Frauen gegen Männer, Betriebsleiter gegen LPG-Veteranen und alle zusammen gegen ihr Leben arbeiten. 2010 wird für das fast 700 Jahre alte Unterleuten ein Schicksalsjahr. Das Flurstück „Schiefe Kappe“, eine bislang karge und uninteressante Anhöhe, rückt in den Mittelpunkt des Dorfinteresses, als es zum Eignungsgebiet für einen neuen Windpark erklärt wird. Die Aufregung ist groß, viele Einwohner befürchten eine Verschandelung der Landschaft. Doch es gibt auch Nachbarn, die sich davon ein einträgliches Geschäft versprechen, dessen Ertrag sie für den Rest ihres Lebens unabhängig machen würde. Es beginnt ein Krieg, in dessen Verlauf Konflikte, die bisher dicht unter der Oberfläche schwelten, aufbrechen. Die Situation eskaliert, es wird intrigiert und gelogen, aber nicht wirklich kommuniziert. Der Dorffunk behält dabei immer die Oberhand; den Gerüchten, die er transportiert, wird vorbehaltlos geglaubt. Kein Wunder, dass Unterleuten sich mit jedem neuen Gerücht vom Frieden immer weiter entfernt. Da ist es fast schon zwangsläufig, dass auch gestorben wird. Schließlich kommt kein Krieg ohne Tote aus. Unterleuten nimmt seine Leser mit in die Unterleutener Heide mitsamt aller zwischenmenschlichen Verwerfungen. Es ist egal, wo man das Dorf ansiedelt: Zerwürfnisse, wie sie in diesem Roman geschildert werden, gibt es zuhauf auch woanders. Auch das Thema, das hier wie der Funke an der Lunte wirkt, ist austauschbar: In Unterleuten ist es ein Windpark, in anderen Orten sorgen Neubaugebiete oder neue Straßen dafür, dass Nachbarn aufeinander losgehen. Juli Zeh hat ihren Roman spannend auf mehr als 630 Seiten inszeniert und durch überraschende Wendungen, von denen oft nur der Leser erfährt, dafür gesorgt, dass es nie langweilig wird.
Miss.mesmerized, 26.07.2016
Unterleuten
Brandenburg, das idyllische Dorf „Unterleuten“. Ein Sammelsurium alteingesessener Bewohner, die die DDR überlebt haben und heute noch genauso leben wir vor 40 Jahren. Auch ein paar Zugezogene gibt es, die Nähe zu Berlin ist ideal, um Stadtleben und Landleben zu verbinden. Was so harmonisch sein könnte, wir durch alte Fehden bestimmt und von älteren Männern, die nicht vergessen können oder wollen und die die tradierten Feindschaften pflegen. Als die Option auf einen Windpark besteht, der die Dorfkasse sanieren könnte, droht die kleine Gemeinschaft zu zerbrechen. Zünglein an der Waage wird eine Neubürgerin, die nicht versteht, in welchen Krieg sie sich begeben hat und dass sie durch ihr Handeln alle ins Unglück stürzen wird. Ein großer Roman, der das Dorfleben glaubwürdig und authentisch einfängt. Die wirtschaftlichen Zwänge, die nur marginal die über Jahrhunderte festgefahrenen Strukturen beeinflussen, sind Anlass und Auslöser für die akute Krise. Der Windpark – ein hochaktuelles Thema und landauf landab Zerreißprobe für viele kleine Gemeinschaften mit sich widersprechenden Erwartungen und Bedürfnissen – kann tauglich das Chaos auslösen. Dabei bleiben die Figuren mit all ihren Eigenarten, Unzulänglichkeiten und ihrem oftmals irrationalen Verhalten jedoch immer im Vordergrund. Sie sind das Zentrum, in ihren Eigenarten individuell und doch repräsentativ für die Menschen, die man überall finden kann. Ein Stück deutsche Geschichte heruntergebrochen auf ein kleines Dorf im nirgendwo und doch symptomatisch für unsere Zeit und beispielhaft für das, was uns bewegt.
Susanne Becker, 24.07.2016
Buch der Woche - Unterleuten von Juli Zeh
"Unterleuten war ein Instrument, auf dem ein Virtuose jede beliebige Melodie erzeugen konnte." Unterleuten ist in gewisser Weise ein Gesellschaftsroman. Er greift viele Themen der Gegenwart in der für Juli Zeh typischen, präzisen Erzählweise auf. Kaum eine beherrscht ihr Handwerk so gut wie sie. Das macht es einem leicht, ihre Bücher zu lesen, sie sind, wie eine Kritikerin vermerkte: Pageturner. Manchmal aber sind sie mir persönlich auch zu konstruiert, erinnern an amerikanische Schreibratgeber und Diagramme, die den Verlauf einer gelungenen Geschichte verdeutlichen. Es fehlen mir die Abgründe, die Unwägbarkeiten, es fehlt mir die Poesie des Menschseins. Aber obwohl diese Kritik für mich auch bei Unterleuten zutrifft, ist es ein Buch, das ich gerne gelesen habe, vor allem bis zur Mitte habe ich es verschlungen, weil es intelligent ist und sehr gut geschrieben. Jeder Satz führt unvermeidlich zum nächsten, jedes Kapitel dient der Handlung in beinahe perfekter Weise. Als Leserin geht man nicht eine Zeile verloren. Man wird mit sicherer Hand durch die Handlung geführt. Dass diese Handlung in Brandenburg angesiedelt ist, in einem Dorf, das mich an jeder Ecke an das Dorf erinnert, in dem ich meinen Garten habe, macht die Freude an dem Buch noch größer. Persönlicher Bezug ist ja nie verkehrt, wenn man liest, also zumindest bei mir nicht. "Die Wahrheit war nicht, was sich wirklich ereignet hatte, sondern was die Leute einander erzählen." Unterleuten ist ein Buch über die permanenten Missverständnisse, die es zwischen Menschen gibt. Es zeigt, wie oft genug diese Missverständnisse es sind, die ganze Existenzen formen, unter Umständen gar der Sinnlosigkeit entreißen, ganze Lebenszusammenhänge, alles basiert auf Geschichten, die man sich selbst über andere erzählt, die aber nichts mit der Realität zu tun haben müssen und doch glauben wir sie, als wären sie wahr. Diese Geschichten und das daraus resultierende Verhalten kreiert einen großen Teil der menschlichen Realität. Sie sind wie eine Metaebene, auf der wir alle leben, verstrickt in unsere Missverständnisse über uns selbst und andere, weit entfernt von dem entfernt, was sein könnte, wenn die Menschen nicht beständig ihre innere Leere mit Vermutungen füllen würden. "In den 61 Jahren ihres Lebens und vor allem in den zwei Jahrzehnten seit Püppis Auszug hatte Elena gelernt, dass die wahre Geißel des Menschen Langeweile hieß. Langeweile verdarb den Charakter. Sie weckte die Sehnsucht nach Skandalen und Katastrophen. Friedliche Menschen verwandelten sich in Schandmäuler, die anderen Böses wünschten, nur damit sie etwas zu besprechen hatten. Im Kampf gegen die Langeweile entschied sich, ob man als Teufel oder als Engel durchs Leben ging. Weil Elena dies verstand, hatte sie sich stets verboten, schlecht über Nachbarn zu reden, auch wenn es bedeutete, dass die Leute sie für hochnäsig hielten. Wenn man die Gerüchteküche mied, gab es an Gartenzäunen, Straßenecken oder Doppelkopftischen wenig zu verhandeln." Menschen erzählen sich in ihren Köpfen und einander Geschichten über ihre Nachbarn, ihre Ehepartner, ihre Freunde, sogar über ihre Kinder und diese Geschichten werden zu Realitäten, weil man diesen Geschichten eher glaubt als nichts über andere zu wissen, ihnen offen und vorurteilslos entgegen zu treten. Dass Fremde sich gegenseitig falsch einschätzen, mag noch klar sein. Aber in Unterleuten erzählt Juli Zeh, wie sehr diese Interpretation des anderen, in die Irre geführt, auch in engsten Beziehungen durchaus den Ausschlag geben kann. Menschen stehen einander nahe und wissen nichts voneinander. Sie sind einander Projektionen der eigenen Befürchtungen und Befindlichkeiten. Dabei gehen sie aber davon aus, alles voneinander zu wissen, und auf dieser Annahme bauen sie ihr Leben, ihr gesamtes Verhalten auf. Unsere Leben basieren zu großen Teilen auf Vorurteilen. Da die meisten Menschen im Kern verletzt und unsicher sind und sich nach Anerkennung und Liebe sehnen, bestehen viele dieser Geschichten aus Unterstellungen von Übervorteilung, Betrug und Gemeinheit, natürlich auch aus Selbstgerechtigkeit. Wer sieht sich nicht gerne als Opfer und bezieht daraus entscheidende Teile seiner Identität? In Unterleuten wimmelt es von Menschen, die sich von anderen mies behandelt fühlen und dafür nach Rache streben. Kron, der Kommunist, zündete Gombrowskis Heim an, als dieser ein Teenager war, weil die Eltern die Großgrundbesitzer waren, der Sozialismus begann, Kron glaubte, das Eigentum der Kapitalisten vernichten zu dürfen, weil eine neue Ordnung aufzog. Gombrowski, der nach der Wende die alte LPG und damit Arbeitsplätze fürs Dorf retten konnte, indem er sich sie, und somit den alten Familienbesitz, wieder aneignete, weshalb sich Kron als sein Opfer versteht und soweit geht, Gombrowski des Mordes zu bezichtigen. Zu Recht? Unterleuten ist beinahe auch ein Krimi. Der Tote wurde doch von einem Baum erschlagen, in einem Unwetter. Und ist Hilde, die Frau des Toten, wirklich Jahrzehntelang die Geliebte von Gombrowski gewesen? Ist ihre Tochter Betty, die bei Gombrowski arbeitet, auch seine Tochter? Unterleuten ist ein Gesellschaftsroman, ein großer Wurf, geradlinig und schnörkellos erzählt. Kapitel für Kapitel werden wir durch dieses Dorf und seine Verstrickungen geführt und dieses Dorf ist ein Abbild der ganzen Welt. Mit der Sprache muss man sich nicht lange aufhalten. Sie ist in diesem Buch kein Selbstzweck, sondern exakt konstruiertes Fahrzeug zum Transport einer sehr präzise durchdachten Geschichte, eines Plots. Eine Geschichte über Beziehungen im Hier und Heute vor dem Hintergrund von Ost und West und alten sowie neuen Verstrickungen am Beispiel eines brandenburgischen Dorfes, in dem ein Windpark errichtet werden soll. Wer Brandenburg kennt, seine Windräder vor Landschaft, der weiß, wie nah Juli Zeh die Gegenwart ausgelotet hat. Wer Juli Zeh und ihre Klugheit, sowie ihr gesellschaftliches Engagement kennt, der weiß auch, wie wahr all dies sein könnte. Erfunden und doch wahr. Das Personal besteht aus alteingesessenen Ossis und neu dazu gezogenen Wessis. Die Ossis teilen sich in ehemals regimetreu und regimekritisch auf, so dass ohne die leiseste Ahnung der Wessis die jahrzehntealten Konflikte unterschwellig mit großer Heftigkeit schwelen. Die Zugezogenen, die diese Konflikte gar nicht verstehen können, die sowieso in Unterleuten sind, weil sie in irgendeiner Form das Paradies und absolute Ruhe jenseits des Leistungsdrucks der Stadt für sich suchen, teilen sich in Träumer und in eher kalkulierende Realisten, die in eben diesem Paradies verwirklichen wollen, was in der Stadt nicht möglich ist. Schließlich gibt es noch Meiler, den Millionär aus Ingolstadt, der eher zufällig bei einer Versteigerung ein großes Stück Land bei Unterleuten erworben hat. Er hat keine Beziehung zum Ort und doch gehört ihm dort so einiges, welches er eventuell nutzen kann, um seinen drogenabhängigen Sohn in die Familie zurück zu holen. Die Personen werden, das ist ein geschickter Erzählkniff, sowohl aus der eigenen Perspektive geschildert, als auch mit den Augen der anderen, so dass man ständig die Sichtweise der anderen auf eine Person und ihre Handlungen erfährt, und auch die wirklichen Motive und Gedanken. Dabei ist keine der Personen so sympathisch, dass man sich als Leser jemals ganz mit ihr identifizieren würde. Man muss sagen, dass Juli Zeh ihre Charaktere teilweise auch ein wenig vorführt. Keine kommt dabei so unsympathisch rüber, dass man mit Bestimmtheit sagen würde: so ein Schwein. Naja, vielleicht Gombrowski, der jahrelang Frau und Tochter verprügelt hat, der kommt dem schon sehr nahe, und doch schafft Zeh es, auch ihn aus so vielen Perspektiven zu zeigen, dass er einem eher leid tut. Was ich in einem solchen Zusammenhang auch ein wenig fatal fand. "Eine Geschichte wird nicht klarer dadurch, dass viele Leute sie erzählen." Nach diesem Motto ist der Roman im Grunde aufgebaut. Alle Protagonisten sind auch Erzähler, beziehungsweise immer abwechselnd, Kapitel für Kapitel, berichtet ein auktorialer Erzähler immer wieder mit einem anderen der Protagonisten im Zentrum. So wird die Geschichte wie ein Puzzlestein zusammen gesetzt. Es entstehen Spannungsmomente, die einen weiterziehen. Als ein Windpark auf dem Gebiet geplant wird, das zum Teil Meiler gehört, zu einem anderen Gombrowski, Kron und einer Wessipferdefrau namens Linda Franzen, formieren sich die Pro- und Contragruppen schnell, und die Konflikte treten in all ihrer Heftigkeit zutage. Denn ein Windpark kann nur errichtet werden, wenn das Grundstück groß genug ist. Einer muss daher verkaufen. Der Käufer wird reich werden. Konflikte, die zu einem großen Teil auf den falschen Annahmen der Menschen übereinander basieren, fressen sich immer brutaler ins Sozialgefüge des Dorfes hinein. So hat Unterleuten fast das Zeug zu einem groß angelegten Lustspiel, mit den ganzen Irrtümern und Verwirrungen, wenn nicht auch eine große Tragik und Ernsthaftigkeit all dem beiwohnen würde. Das Buch zeigt die Komplexität, aber auch die Einfachheit, ja Trivialität menschlicher Motive zu handeln, auch und gerade, wenn es darum geht, groß zu handeln. Eitelkeit, Beleidigtsein, Selbstgerechtigkeit formieren in diesem Roman einen nicht unerheblichen Teil der menschlichen Realität, und wer wagt es, dieser Sicht ernsthaft zu widersprechen? Dennoch: Vielleicht ist dies der für mich größte Kritikpunkt an der Geschichte: dass Juli Zeh die Handlungsmotive relativ konsequent und fast ausnahmslos alle in diese Richtung schreibt. Das macht beim Lesen eine lange Weile Spaß, weil es unterhaltsam ist, aber ab der Hälfte etwa begann es, mich ein wenig zu nerven. Denn Menschen sind, bei aller Liebe, nicht so eindimensional. Sie sind nicht ständig so berechnend. Deshalb ist für mich der große Wurf, den so viele Rezensenten postulieren, nicht wirklich ganz gelungen. Unterleuten spiegelt uns ein bestimmtes Bild von Menschen zurück, welches relativ negativ, auch ein bisschen lächerlich und wie gesagt, sehr eindimensional bleibt. Es fehlen die Liebe, die Größe, die Tiefe des Menschen. Es stimmt, ich habe, trotz allem, was in den letzten Monaten geschieht, immer noch die rosarote Brille auf und glaube an etwas Großes in den Menschen, in jedem Menschen. Es ist mir in Juli Zehs Roman nicht begegnet. Dort gibt es Mittelmaß und sehr viel Mickrigkeit. Das hat mich irgendwann frustriert. Das Buch erinnerte mich zu weiten Teilen mehr an eine Karikatur als an einen wirklich großen Roman. Die Charakterisierungen der Protagonisten schrammen immer wieder nur sehr knapp am Klischee vorbei. Manchmal landen sie auch mitten darin und das Ende ist sowieso Klischee, wie in der Schreibschule vorgegeben, war es für mich der schwächste Teil des ganzen Buches. Alle Enden noch schnell verknoten, damit keines im Leeren baumelt. So gerne ich, bei aller Kritik, Unterleuten gelesen habe, weil es spannend, unterhaltsam und leicht zu lesen ist, weil es sich wunderbar als Ferien- und Urlaubslektüre zum Wegschlürfen eignet. Es kommt nicht an Juli Zehs Meisterwerke Spieltrieb und Adler und Engel heran und es erfüllt nicht die Kriterien, die ich an einen großen Wurf lege. Ein großer Dank dem Luchterhand Verlag für das Rezensionsexemplar. (c) Susanne Becker
der Michi, 04.07.2016
heiliges Ego
In der Regel ist der Gesellschaftsroman ein klassisches Genre, zu dem man in Schule oder Studium aufgrund seiner Sperrigkeit erst genötigt werden muss. Zeh gelingt es, eben diese Nische auf elegante Art für immer noch relevant zu erklären. Ihre Unterleutner stellen eine ebenso realistische wie dezent kritisch betrachtete Auswahl verschiedenster Typen dar, die ihren Begierden nach und nach erliegen. Der Streit um die Windräder, der schon manches real existierende Dorf entzweit haben dürfte, ist letztendlich nur der Auslöser für das, was bei jedem einzelnen längst unter der Oberfläche brodelt. Unterdrückte Konflikte brechen urplötzlich wieder hervor, zur Tradition gewordene Feindschaften werden neu belebt. Die redenden Namen von Orten und Gegenden sprechen für sich. In Unterleuten ist man nun einmal wohl oder übel "unter Leuten". Wer im benachbarten "Groß Väter" lebt, kann man sich auch denken und die beinahe ausgestorbenen "Kampfläufer" sind aus gutem Grund nur in diesem Landstrich zu finden. Jedes Kapitel widmet sich abwechselnd einem der Dorfbewohner, den der Leser darin so gut kennen lernt, dass er seine Motive gelegentlich fast nachvollziehen will. Wenig später wendet man sich aber beschämt von seiner Lieblingsfigur ab. Diese mit scharfem Blick porträtierten Persönlichkeiten sind das eigentliche Highlight in Unterleuten. Das Geschehen ist punktuell durchaus spannend, kommt sogar (fast) ohne Mord und Totschlag aus, die Unberechenbarkeit der Beteiligten macht den Roman aber erst richtig packend. Eindeutige Sympathieträger sucht man vergeblich, man stellt vielmehr bald fest, dass auch Altkommunisten, Kapitalisten, Naturschützer, linksliberale Bildungseliten, Konservative, Wendeverlierer, Karierrefrauen, Politiker, Unternehmer, Hipster, Streber und schräge Randgestalten unter den richtigen Umständen zum Schlimmsten fähig sind. Ideologie und Idealismus sind hier in der Regel nur Vorwände für das Erreichen der eigenen Ziele. Anhand dieser exemplarischen Mini-Gesellschaft wird ganz nebenbei der individuelle Egoismus als eigentliche Triebkraft und zentrales Übel der Jetztzeit entlarvt. Fazit: Ein großer Roman, eine kritische Gesellschaftsanalyse, eine romantikbefreite Hommage an Land und Leute und vieles mehr. Juli Zeh hat es spätestens jetzt geschafft, mit vollem Recht in einem Atemzug mit Autoren wie Dave Eggers oder Uwe Tellkamp genannt zu werden. Noch dazu ist ihre gleichzeitg klare und doch poetische literarische Sprache ein Genuss und wiegt sogar einige wenige Flauten in der Handlung wieder auf. Wer Literatur nicht nur zur Gedankenberieselung nutzt, für den ist "Unterleuten" Pflichtlektüre. Das Buch ist übrigens mehr, als man zwischen den Buchdeckeln findet. Einrichtungen wie der "Märkische Landmann" und die Vogelschutzwarte Unterleuten haben eigene Internetauftritte, einzelne Figuren betreiben eigene Facebookprofile, ein im Buch erwähntes anderes Buch ist tatsächlich erschienen. Deutlicher kann man den Bezug zur realen Welt gar nicht mehr machen. Seitenzahl: 640 Format: 14,9 x 22,6 cm, gebunden Verlag: Luchterhand
Barbara Hauschild & Christian Funke, 04.07.2016
Juli Zeh - Unter Leuten (Luchterhand)
Juli Zeh Unter Leuten (Luchterhand) „Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf Unterleuten irgendwo in Brandenburg. Als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist … Mit Unterleuten hat Juli Zeh einen großen Gesellschaftsroman über die wichtigen Fragen unserer Zeit geschrieben, der sich hochspannend wie ein Thriller liest. Gibt es im 21. Jahrhundert noch eine Moral jenseits des Eigeninteresses? Woran glauben wir? Und wie kommt es, dass immer alle nur das Beste wollen, und am Ende trotzdem Schreckliches passiert?“ (Luchterhand) In der Tat ist es ein „großer Gesellschaftsroman“, den die vielfach ausgezeichnete Autorin hier vorlegt. Weniger der Umfang von 634 Seiten, als vielmehr das breite Spektrum menschlicher (und unmenschlicher) Befindlichkeiten und deren bedrückende Entwicklung macht die literarische und psychologische Größe des Werkes aus. Die Gesellschaft des brandenburgischen Kaffs Unterleuten präsentiert sich in facettenreich ausgearbeiteten Charakteren – das gelingt der Autorin so sorgfältig und anschaulich, dass man sich eigentlich mit keinem von ihnen identifizieren möchte - deren Handeln beobachtet, beschrieben und analysiert wird. Das ist eigentlich alles. Jedes Kapitel ist aus der Sicht eines anderen Protagonisten erzählt, so dass dem Leser nach und nach verschiedene Sichtweisen und Wertungen der fortschreitenden Handlung präsentiert werden. Das ist an sich reizvoll und abwechslungsreich, die Vielzahl der Charaktere erschwert allerdings mitunter die Orientierung. „Inzwischen kann ich behaupten, Unterleuten recht gut zu kennen, was nicht bedeutet, dass ich etwas verstanden habe“ resümiert die (fiktive) Erzählerin des Epilogs (S. 628). Diese Erkenntnis wird der eine oder andere Leser teilen. Dass der Roman stellenweise echte Pageturner-Qualitäten aufweist, liegt eingangs an der Einführung der sehr unterschiedlichen Figuren, die dem Leser von Anfang an ein leichtes Unwohlsein verursacht. Gegen Ende nimmt die Handlung noch einmal deutlich Fahrt auf Richtung Showdown, den manch ein Unterleuter Bürger nicht überlebt. Dazwischen gibt es Längen im Mittelteil, die der stagnierenden Handlung bei leicht verworrener Figurenführung anzulasten sind – auch eine Kindesentführung hilft hier nicht wirklich weiter. Im Blick auf Stil und Sprache ist „Unterleuten“ allerdings der pure Genuss. Zwischen zarter Ironie und bitterem Sarkasmus steuert Juli Zeh das Dorf mit seinen Insassen dem vorhersehbaren Kollaps entgegen. Zwischendurch hält eher die sprachliche Ausdruckskraft als die Handlung den Leser am Ball. Manche Passage liest man gleich noch mal – weil es so schön ist. Über die Buchdeckel hinaus haben Verlag und Autorin keine Kosten und Mühen gescheut, die Unterleuten-Gesellschaft auch in der pseudorealen social-media-Welt zu verorten: Der fiktive Gasthof des fiktiven Dorfes veröffentlicht seine Speisekarte online („Fischeintopf wieder erhältlich“), einige Romancharaktere betreiben facebook-Profile und auf der Website des fiktiven Vogelschutzbundes (Motto „Bei uns piepts!“) kann man durchaus reale Shirts bestellen… Größter Kunstgriff ist dabei wohl die reale Veröffentlichung des im Roman viel zitierten „Erfolgs-Ratgebers von Manfred Gortz“ bereits ein Jahr vor Erscheinen des Romans selbst. Selbst die FAZ müht sich, der Autorin im Interview Aussagen über die Existenz des Manfred Gortz und eine potentielle Verbindung zu entlocken – vergeblich. Wer den Roman mag, hat sicher auch Spaß an diesen Meta-Spielereien. Nötig wäre das nicht gewesen: „Unterleuten“ ist ein starkes Stück Literatur, gesellschaftskritisch und wortgewaltig. „Großer Gesellschaftsroman“ eben, in jeder Hinsicht. Barbara Hauschild & Christian Funke
zitroschs Leseland, 01.07.2016
Positive Überraschung
Die Geschichte spielt im Umland Brandenburgs, eine Stunde von Berlin entfernt, in dem kleinen Dörfchen "Unterleuten". Dort leben zwar nicht viele Menschen, doch deckt die Bewohnerschaft die ganze Bandbreite verschiedener Charaktere ab. Da gibt es zum Beispiel den alteingesessenen Ex-DDR Bürger, der immer noch verbissen an den alten Werten festhält und sich von seinen kapitalistischen Mitmenschen betrogen fühlt, die Großstadtflüchtigen, die der abgeschiedenen, ländlichen Idylle nur positives abgewinnen können, der etwas aggressive, erfolgreiche Geschäftsmann, dem egal was er tut Negatives unterstellt wird, oder die selbstbewusste, aufstrebende, junge Geschäftsfrau, die mit dem "typischen" Frauenbild bricht. Dieses Dorf mit seiner "illustren" Gesellschaft wird nun, völlig unerwartet, von der Planung eines Windparks bedroht und sofort kocht in dem beschaulichen Unterleuten die Stimmung hoch. Obwohl doch jeder nur das Beste für sich, seine Mitmenschen bzw. für seinen Wohnort will, läuft bald alles gehörig aus dem Ruder. Ganz unerwartet überzeugte mich Juli Zeh mit einem mitreißenden, flüssigen und verständlichen Schreibstil. Manchmal laut, manchmal aber auch ganz leise zeigt sie sowohl die jeweiligen Charaktereigenschaften ihrer Protagonisten als auch deren Handlungsmotivation auf. Die Autorin widmet sich in jedem Kapitel einer anderen Figur und erzählt die Geschehnisse aus deren Sicht. Dadurch fällt es dem Leser leicht sich in die betreffende Person hineinzuversetzen und muss ihm/ ihr am Ende des Kapitels, zumindest ein bisschen, zustimmen. Fazit: Eine faszinierende Geschichte, mit soziologischen Charakter, die mich begeistert hat.
kinderdok , 09.06.2016
Buch der Saison!
Ein Lieblingsbuch der Deutschen in diesem Frühjahr. Die intelligente Juli Zeh bringt einen neuen Roman raus, manche ihrer Bücher waren mir zu seicht oder zu konstruiert, das hier ist ein Hammer, sicher ihr bestes Werk bisher. Erzählt wird das Leben in einem ostdeutschen Dorf, in dem Windkrafträder aufgestellt werden sollen. Dass das beim Öko-Zugezogenen, beim Ex-Stasi, beim alt eingesessenen Bauern und dem Neu-Kapitalisten, außerdem beim ganz normalen Volk zu Wirrungen führt, kann man sich denken. Exemplarisch vielleicht für Vorgänge in vielen anderen Dörfern destilliert Juli Zeh jeden einzelnen Charakter auf seine dunklen und hellen Seiten. Die Zustände und Meinungen wechseln während des Buches, die Winkelzüge der Kommunalpolitiker und Dorfältesten sind raffiniert, die Klischees der Zugezogenen treffsicher beschrieben. Dazu noch eine süffige runde Sprache. Lesen! Ganz lustig übrigens: Ich habe das Buch als ebook gelesen, und die erwähnten Hyperlinks im Buch lassen sich tatsächlich anklicken und führen den Leser auf (konstruierte?) Websites zu Windkraftanlagen oder Pferdezüchtern. Witzig. (5/5)
Martin Kulik, 29.05.2016
Dorfroman im Kommunikationszeitalter
Juli Zeh hat mit „Unterleuten“ einen Gesellschaftsroman geschrieben. Einen Roman, der den Mikrokosmos des Dorflebens in all seinen Eigenarten und Besonderheiten seziert. Dass gerade die Sozialdynamiken des Dorfes die Folie für diesen Gesellschaftsroman bilden, ist kein Zufall, denn das dichte Netz aus Perspektiven, Gerüchten und Geschichten exemplifiziert eine Art der Kommunikation, die mehr denn je unsere Realität konstituiert. Ein exzellentes Mosaik moderner menschlicher Beziehungen! Ausführliche Rezension: http://postmondaen.net/2016/05/29/juli-zeh-unterleuten-dorfroman-im-kommunikationszeitalter/
Gisela Simak, 25.05.2016
Ich war unter Leuten
Meine Meinung Ich war ein paar Tage in Unterleuten. Das Dorf in der ehemaligen DDR hat mich stellenweise das Fürchten gelehrt. Wer nun denkt, das fiktive Örtchen in der Priegnitz im westlichen Brandenburg wäre ein lauschiges Plätzchen, liegt falsch! Im Gegenteil! Die Anonymität einer Großstadt lässt einen viel freier leben. Der Lärm und die Menschenmassen sind einkalkulierbar. Den Bürgermeister kennt man selten persönlich. Damit kann Unterleuten nicht dienen. Die wunderbare Landschaft und die idyllischen Häuschen bergen skurrile Charaktere. Da wird einem Ehepaar, mit einem kleinen Kind, Atemluft und Stille madig gemacht. So etwas passiert, wenn der Nachbar eine Autowerkstatt im Garten nebenan errichtet und oft Rauchschwaden zu den Nachbarfenstern ziehen. Da erübrigt sich das Öffnen der Fenster. Wer tauscht schon gerne Naturluft mit verbranntem Gummi ein? Bei hohen Temperaturen wird das Haus schnell mal zur Sauna. Wer denkt, in Unterleuten dürfte es kein Problem sein, eine Pferdekoppel zu errichten, wird bald eines Besseren belehrt. Eine Genehmigung von Naturschützern zu erhalten, kann da leicht zu einer Lebensaufgabe werden. Noch dazu, wenn das heiß ersehnte Pferd noch in Berlin lebt. Die wunderbare Natur, mit ihren seltenen Vögeln, soll mit Windrädern verziert werden. Das führt bald dazu, dass in einigen Dorfbewohnern die korrupte Seite auf Hochtouren läuft. Die Charaktere und ihre Handlungen kamen mir oft ziemlich aus der Luft gegriffen vor. Nach längerem Überlegen habe ich aber festgestellt, dass jeder solche Menschen kennt. Würde ich heute über die Menschen, die ich bisher in meinem Leben kennengelernt habe, eine Geschichte schreiben, wäre ich auf der Stelle in Unterleuten angekommen. Ich muss sie nicht mal alle persönlich kennen. Mal ganz ehrlich ... können wir immer verhindern, was die Politik uns vorschreibt? Sind wir immer damit einverstanden, welche Veränderung ein Bürgermeister in Städte und kleinere Ortschaften bringt? Selbst wenn man gute Nachbarn hat, kennt man doch jemanden, der sich mit seinen Nachbarn ständig ärgern muss. Wer kennt sie nicht, die alte Frau die nur noch für Katzen lebt? Oder eine junge Frau, die einen älteren Mann heiratet? Nicht immer hat die junge Frau einen Grund, zu ihrem älteren Mann aufzuschauen. Das wird besonders in dieser Geschichte deutlich. Oder das junge Paar, wo ein Partner ausschließlich seine eigenen Interessen vertritt. Nicht selten verlässt eine Ehefrau ihren brutalen Ehemann, nach vielen Ehejahren. Irgendwie ist in Unterleuten einer dem anderen was schuldig. Ein Todesfall ist auch nach Jahren noch nicht geklärt. Fazit Ich habe mir die Namen der Personen gespart. Ihr werdet die Leute alle selber kennen lernen. Ich bin mir sicher, Ihr kennt sie schon. Intrigen und eine sehr detaillierte Schreibweise haben Unterleuten zu einem Ort gemacht, den ich jetzt wirklich kenne. Gewalt, Lügen und Intrigen hauchen der Geschichte 635 Seiten Spannung ein. Hundeliebhaber wird es bei einer bestimmten Szene Tränen in die Augen treiben. Stimmt, ich wollte keine Namen nennen. Ich habe es mir anders überlegt! Einen nenne ich Euch. Von einem Mann, der mich in dieser Geschichte am meisten beeindruckt hat. Ich wusste lange nicht, ist dieser große, dicke Mann, mit Tränensäcken und Hängebacken, nun eigentlich gutmütig oder gefährlich? Meint er es mit sämtlichen Menschen wirklich gut? Ich dachte eigentlich schon. Er wirkte auf mich oft unbeholfen und traurig. Wie ein armes Hündchen kam er mir vor. Sein Name ist: GOMBROWSKI!!!! Gombrowski hat mich am Ende total schockiert! Ich habe mich sehr geekelt. Ihr werdet Euch auch ekeln! Sagt bitte hinterher nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt! Juli Zehs Gesellschaftsroman wird nicht umsonst so hochgelobt. Mich konnte die Geschichte überzeugen. Vielen Dank Juli Zeh. Unterleuten ist eines der besten Bücher, die ich bisher gelesen habe. Mein Dank gilt dem Luchter-Verlag
Gisela Simak, 25.05.2016
Ich war unter Leuten
Meine Meinung Ich war ein paar Tage in Unterleuten. Das Dorf in der ehemaligen DDR hat mich stellenweise das Fürchten gelehrt. Wer nun denkt, das fiktive Örtchen in der Priegnitz im westlichen Brandenburg wäre ein lauschiges Plätzchen, liegt falsch! Im Gegenteil! Die Anonymität einer Großstadt lässt einen viel freier leben. Der Lärm und die Menschenmassen sind einkalkulierbar. Den Bürgermeister kennt man selten persönlich. Damit kann Unterleuten nicht dienen. Die wunderbare Landschaft und die idyllischen Häuschen bergen skurrile Charaktere. Da wird einem Ehepaar, mit einem kleinen Kind, Atemluft und Stille madig gemacht. So etwas passiert, wenn der Nachbar eine Autowerkstatt im Garten nebenan errichtet und oft Rauchschwaden zu den Nachbarfenstern ziehen. Da erübrigt sich das Öffnen der Fenster. Wer tauscht schon gerne Naturluft mit verbranntem Gummi ein? Bei hohen Temperaturen wird das Haus schnell mal zur Sauna. Wer denkt, in Unterleuten dürfte es kein Problem sein, eine Pferdekoppel zu errichten, wird bald eines Besseren belehrt. Eine Genehmigung von Naturschützern zu erhalten, kann da leicht zu einer Lebensaufgabe werden. Noch dazu, wenn das heiß ersehnte Pferd noch in Berlin lebt. Die wunderbare Natur, mit ihren seltenen Vögeln, soll mit Windrädern verziert werden. Das führt bald dazu, dass in einigen Dorfbewohnern die korrupte Seite auf Hochtouren läuft. Die Charaktere und ihre Handlungen kamen mir oft ziemlich aus der Luft gegriffen vor. Nach längerem Überlegen habe ich aber festgestellt, dass jeder solche Menschen kennt. Würde ich heute über die Menschen, die ich bisher in meinem Leben kennengelernt habe, eine Geschichte schreiben, wäre ich auf der Stelle in Unterleuten angekommen. Ich muss sie nicht mal alle persönlich kennen. Mal ganz ehrlich ... können wir immer verhindern, was die Politik uns vorschreibt? Sind wir immer damit einverstanden, welche Veränderung ein Bürgermeister in Städte und kleinere Ortschaften bringt? Selbst wenn man gute Nachbarn hat, kennt man doch jemanden, der sich mit seinen Nachbarn ständig ärgern muss. Wer kennt sie nicht, die alte Frau die nur noch für Katzen lebt? Oder eine junge Frau, die einen älteren Mann heiratet? Nicht immer hat die junge Frau einen Grund, zu ihrem älteren Mann aufzuschauen. Das wird besonders in dieser Geschichte deutlich. Oder das junge Paar, wo ein Partner ausschließlich seine eigenen Interessen vertritt. Nicht selten verlässt eine Ehefrau ihren brutalen Ehemann, nach vielen Ehejahren. Irgendwie ist in Unterleuten einer dem anderen was schuldig. Ein Todesfall ist auch nach Jahren noch nicht geklärt. Fazit Ich habe mir die Namen der Personen gespart. Ihr werdet die Leute alle selber kennen lernen. Ich bin mir sicher, Ihr kennt sie schon. Intrigen und eine sehr detaillierte Schreibweise haben Unterleuten zu einem Ort gemacht, den ich jetzt wirklich kenne. Gewalt, Lügen und Intrigen hauchen der Geschichte 635 Seiten Spannung ein. Hundeliebhaber wird es bei einer bestimmten Szene Tränen in die Augen treiben. Stimmt, ich wollte keine Namen nennen. Ich habe es mir anders überlegt! Einen nenne ich Euch. Von einem Mann, der mich in dieser Geschichte am meisten beeindruckt hat. Ich wusste lange nicht, ist dieser große, dicke Mann, mit Tränensäcken und Hängebacken, nun eigentlich gutmütig oder gefährlich? Meint er es mit sämtlichen Menschen wirklich gut? Ich dachte eigentlich schon. Er wirkte auf mich oft unbeholfen und traurig. Wie ein armes Hündchen kam er mir vor. Sein Name ist: GOMBROWSKI!!!! Gombrowski hat mich am Ende total schockiert! Ich habe mich sehr geekelt. Ihr werdet Euch auch ekeln! Sagt bitte hinterher nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt! Juli Zehs Gesellschaftsroman wird nicht umsonst so hochgelobt. Mich konnte die Geschichte überzeugen. Vielen Dank Juli Zeh. Unterleuten ist eines der besten Bücher, die ich bisher gelesen habe. Mein Dank gilt dem Luchter-Verlag
Laila Mahfouz, 24.05.2016
Rezension zu Juli Zehs Roman »Unterleuten« – einer soziologischen Studie eines Mikrokosmos
In ihrem aktuellen Roman »Unterleuten« entwirft Juli Zeh ein ganzes Dorf, das durch die Zwangsansiedlung eines Windparks und durch eine alte Fehde der Dorfchefs gespalten ist. Mit feinem Humor, wunderbaren Figuren und grandiosen Perspektivenwechseln gelingt es Juli Zeh, den Leser mit der Führung durch das Innenleben eines Dorfes zu fesseln. Fazit: Juli Zehs Roman »Unterleuten« ist ein großer Gesellschaftsroman, der durch die Aktualität der Handlung, seinen feinen Humor und seine Scharfzüngigkeit besticht. Warum auf »Unterleuten« noch kein Regen an Auszeichnungen niederging, kann ich nicht begreifen. Die Autorin nutzt ihre besondere Fähigkeit, starke Figuren in allen Nuancen der menschlichen Zwischentöne zu zeichnen. Die Spannung wird über mehr als 600 Seiten gehalten und der Leser immer wieder mit sich selbst konfrontiert, denn Juli Zeh gelingt es, noch Sympathien für die verachtenswertesten Charaktere zu wecken und zwingt damit den Leser aus der Komfortzone sichergeglaubter Positionen. Ein Roman, den ich jedem empfehlen kann, der spannende Bücher mit einprägsamen Charakteren, Niveau und Humor mag! Ein großer Wurf! Die ganze Rezension lesen Sie unter https://www.kultumea.de/2016/05/24/rezension-zu-juli-zehs-roman-unterleuten-einer-soziologischen-studie-eines-mikrokosmos/?preview=true
Eva-Maria Obermann, 23.05.2016
Jeder sollte diesen Roman lesen
In Unterleute soll eine Windkraftanlage gebaut werden. Dass die Anwohner das durchweg weniger gut finden, interessiert den Staat herzlich wenig. Und insgeheim sind durchaus einige der Dorfbewohner bereit, ihr Land anzubieten, denn natürlich lockt auch dafür das Geld. Die große Frage, wo die Räder stehen sollen, löst ungeahnte Machtkämpfe und Intrigen aus und führt zu Wunden der Vergangenheit. Die neu Zugezogenen etwa, die Vögel und Pferde schützen wollen, oder der Dorfteufel, der sowieso an allem Schuld ist, selbst der Bürgermeister bleibt nicht unparteiisch im Wirrwarr, dem klassischen Kampf gegen Windmühlen. In Unterleuten ist man Unter Leuten. So viel zum Wortwitz. Auf den ersten Blick sind diese Leute vielfältig. Neu Zugezogene aus der Großstadt, die im Kampf mit den Alteingesessenen bereit von vorne herein verloren haben, der ewig wiedergewählte Bürgermeister, der komische Kauz, der Großgrundbesitzer und ihre Anhänger. Und dann ist da noch die Pferdeflüsterin, die in allen Menschen doch auch nur Pferde sieht. Und Macht heißt, zu bewegen. Also bewegt sie. Wer hier tatsächlich wen beweg und in welche Richtung ist ausschlaggebend, um hinter die Fassade zu blicken. Mehrere personale Erzähler kommen hier zusammen, begleiten stets eine der Figuren. Dass tatsächlich ein Ich-Erzähler dahinter steckt – ein netter Trick, denn Zeh beispielsweise schon in Spieltrieb angewandt hat – erkennt der Leser erst zum Ende. Dann kommt die Zusammenfassung, ein bisschen Jura, ein trockenes Ende, die Distanz zur Geschichte und den Figuren, die nach dem grausigen und extremen Höhepunkt auch bitter nötig ist. Unterleuten zieht in den Bann. Das Dorf seine Bewohner, das Buch seine Leser. Es zeichnet das Große im Kleinen wieder, die Welt ist ein Dorf und dieses Dorf heißt Unterleuten. Nichts mehr und nicht weniger. So gekonnt ist dieses Bild, so ausführlich, realistisch, unnachgiebig, dass jeder sich irgendwo wiederfinden kann. Tatsächlich schafft Zeh es, den Dorfverrückten vernünftig zu zeigen, den Dorfteufel als verdrehten Mephisto, der Gutes will und Böses tut. Gerade so viel Verständnis, so viel Nähe, erlaubt die Geschichte, dass der Sprung zum Mitleid mit einem Mann, der Frau und Kind schlägt, ein kurzer wäre. Den letzten Schritt verweigert der personale Erzähler trotzdem, gerade weil er wertungsfrei bleibt. Diese große Stärke des zehschen Stils ist ihren Lesern bekannt und triumphiert auch hier. Unterleuten gewährt einen geradezu erschreckenden und einnehmenden Einblick in Gesellschaft per se, führt den Leser in die Enge, die eigene Dynamik des dörfischen Lebens und klammert so paradoxerweise das Außen aus, zu dem er gehört. Ein mitreisender, ein großartiger und bewegender Roman, der Mensch und Gesellschaft auf eine einmalige Art und Weise zeigt, das Böse im Kleinen, das Richtige im Aufgeben, die Hoffnung im Ende. Jeder sollte dieses Buch gelesen haben.
Vanessas Bücherecke, 10.05.2016
Bissig und großartig geschrieben
Inhalt aus dem Klappentext: Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf "Unterleuten" irgendwo in Brandenburg. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den kleinen Häusern, die sich Stadtflüchtlinge aus Berlin gerne kaufen, um sich den Traum von einem unschuldigen und unverdorbenen Leben außerhalb der Hauptstadthektik zu erfüllen. Doch als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist … Meinung: An diesem Buch kommt man im Moment ja kaum vorbei, ist es doch in aller Munde. Und auch ich wollte es unbedingt lesen und mitreden können. Schließlich ich man ja selber "vom Lande" und gespannt auf die Machenschaften. Im Roman starten wir auch direkt mit der ersten "Fehde". Das Ehepaar Fließ könnte so schön am Ortsrand wohnen, wäre da nicht der ungeliebte Nachbar Schaller, deine eine mehr oder weniger legale Autowerkstatt betreibt und das idyllische Landschaftsbild mit seinem Schrott verschandelt. Schallers Umbaumaßnahmen am Hof will der Vogelschützer Fließ amtlich stoppen lassen, woraufhin Schaller Autoreifen anzündet, um die Familie "auszuräuchern". Doch dieser Kleinkrieg ist nicht der Einzige im Roman. Viele kleine private Streitigkeiten laufen hier zusammen und gipfeln zu einer großen Schlacht aus, als es um die Vergabe eines Windparks geht. Ein mögliches Gebiet, drei Parteien und deren Grundstücke, Windkraftgegner und Privatkriege kommen hier zusammen und lassen Unterleuten zu einem Hexenkessel werden. Juli Zeh hat mit diesem Roman sehr starke, gut strukturierte und authentische Charaktere geschaffen. Von jedem Beteiligten bekommt der Leser ein klares Bild vor Augen und obwohl mir persönlich nicht jeder Charakterzug zugesagt hat, konnte ich doch jede Motivation und Einstellung nachvollziehen. Und das nicht nur bei den vielen Hauptfiguren, auch bei den Nebendarstellern entstand mühelos diese Empathie. So etwas passiert mir selten beim Lesen. Sowieso strotzt dieser Roman vor lauter kritischen und thematisch passenden Aussagen und Ansichten. Am liebsten wäre ich mit einem Marker durch den Roman gegangen um auch ja keine Passage zu verpassen. Da ich aber Kritzeleien in Büchern nicht ausstehen kann, habe ich es verständlicherweise gelassen :) Den Schreibstil der Autorin kann man nur als fesselnd bezeichnen. Klug und eloquent hat Juli Zeh mich von der ersten bis zur letzten Seite an das Buch gefesselt. Der Plot ist gut durchdacht, spannend, wendungsreich, überraschend und verdammt gut recherchiert. Und obwohl die Handlung in Brandenburg spielt und somit auch den Ost-/Westkonflikt mit aufgreift, hätten viele Szenen genauso gut auch meiner eigenen, ländlichen Haustür ereignen können. Einzig dass einige Fragen am Ende noch offen blieben hat mich etwas gestört. Da hätte ich es schön gefunden, wenn diese auch noch geklärt worden wären. Da diese aber für die Haupthandlung nicht von Belang sind, muss da wohl meine Fantasie herhalten. Die Kapitel an sich haben eine angenehme Länge. Oft enden diese meist relativ offen, was die Spannung zusätzlich erhöht, denn man erfährt erst nach und nach, was eigentlich passiert ist. Erzählt wird in der dritten Person, wobei die Sichtweise in jedem Kapitel wechselt und viele Charaktere zu Wort kommen. So erhält am als Leser eine gute Übersicht über alle Ereignisse. Trotz der Vielzahl an Personen fiel es mir nicht schwer den Überblick zu behalten. Und wer trotzdem mal nachschauen muss, wer hier wer ist, der kann auf der Internetseite: http://www.unterleuten.de/ neben einem Glossar auch eine Flurkarte zur besseren Orientierung in Unterleuten finden. Außerdem lohnt es sich, alle im Links im Buch mal aufzurufen und sich zur weiteren Recherche einladen zu lassen ;) Vielen Dank an den Luchterhand Verlag für das Rezensionsexemplar. Fazit: Dieser Roman wird nicht umsonst so hoch gelobt. Sprachlich ein Meisterwerk, fesselnd wie ein Thriller, kritisch und pointiert. Der Kleinkrieg in Unterleuten ist kein Einzelphänomen und kann in dieser oder ähnlicher Art überall, nicht nur "drüben" passieren. Großartig! Von mir gibt es 5 von 5 Punkten.
Mel Bücherwurm, 06.05.2016
Von Vogelschutzgebieten und anderen Provinznestern
Ein absolut gelungener, wenn auch etwas kritischer Gesellschaftsroman, der mich wirklich fasziniert hat. Ein fiktiver Ort, nahe Berlin, wo die Uhren und Zeitgenossen noch anders ticken. Es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben und die Wende noch nicht erfolgt. Die Bewohner des Ortes Unterleuten regeln ihre Dinge selbstständig, ohne das Zutun von Obrigkeiten. Es ist vorprogrammiert, dass auch in Unterleuten irgendwann ein Umdenken nötig ist und das Chaos ausbrechen wird, denn niemand kann in der Zeit verharren, wenn sich die Uhren woanders weiterdrehen. Mich hat manches köstlich amüsiert, da es sehr authentisch wirkt, auf der anderen Seite aber auch nachdenklich gestimmt, denn man muss auch die kritische Seite des Romans erkennen. "Unterleuten" ist absolut gelungen in Schrift und Bild, da es Dinge vertieft, die wenn wir uns umsehen, genauso geschehen könnten. Es ist also nicht alles Fiktion, sondern könnte einer gewissen Beobachtungsgabe der Autorin unterliegen. Ein Roman, der sich einer gewissen Personenpsychologie bemächtigt und mich dadurch wirklich gefesselt hat. Für mich war das Lesen überraschend hochwertig und ich werde definitiv noch weitere Bücher der Autorin lesen wollen, da ihre Wortwahl und Sprachgewaltigkeit regelrecht überzeugt hat. Natürlich muss man einiges kritisch betrachten, aber andererseits vielleicht auch die eine oder andere Wahrheit zwischen den Zeilen entdecken können, Die wechselnden Perspektiven machen "Unterleuten" sehr lebendig. Die Darstellung und Handlungen der verschiedenen Protagonisten hauchen wirklich Leben ein und verdeutlichen immer wieder, dass die Welt in "Unterleuten" stehengeblieben ist. Kommunist trifft auf Neureiche und das Chaos ist vorprogrammiert, denn plötzlich weht ein ganz anderer Wind und für Erneuerungen sind die Menschen nicht bereit. Es werden Dinge aufgegriffen, die oftmals in Vergessenheit geraten sind und dennoch zu unserem Zeitgeschehen hinzugefügt werden müssen. Lehrreich, amüsant und absolut lesenswert! Leseempfehlung!
Thomas Brasch, 26.04.2016
In Gesellschaft von Spaßverderbern
Im vergangenen Jahr las ich die Essay-Sammlung „Nachts sind das Tiere“ von Juli Zeh und resümierte das unter dem Titel „Kann man mit Juli Zeh Spaß haben?“. Die Resonanz auf mein Vergnügen mit ihren Texten war auffallend heftig zwiegespalten. Es gibt wohl nur wenige Autorinnen, die derart polarisieren. Häufiger Vorwurf gegen sie war, sie würde salbadern, sei selbst eine ewig krittelnde Spaßbremse und fabriziere nur öde Belehrungsliteratur. Ihre Spaß vermissenden Kritiker wird Juli Zeh mit ihrem neuen Roman sicher nicht umstimmen können, auch wenn der meines Erachtens sehr unterhaltsam, amüsant und zudem auch noch spannend daherkommt. Es ist eine Moritatengeschichte über ein Soziotop, ein Kaff, ca. eine Autostunde von der Hipster-Metropole Berlin entfernt, bewohnt von gottverlassenen (es gibt zwar eine Kirche, aber offenbar keine Kirchenvertreter) Hinterwäldlern, die es nicht mal für nötig befinden, eine Kanalisation in ihrer Idylle der Ursprünglichkeit bauen zu lassen. Das Idyllische und Ursprüngliche zieht denn auch noch ein paar das Landleben verklärende Aussteiger an. Das Panoptikum an Dorfbewohnern, das Juli Zeh zusammenstellt und aus deren jeweiligen Blickwinkeln sukzessive die Geschichte kapitelweise und chronologisch erzählt wird, entspricht im etwa dem, was ein ARD-Castingteam für eine mögliche Vorabendserie „Vorpommern“ zusammenstellen würde. Im Mittelpunkt stehen zwei alte Männer, die seit Generationen die verfeindeten Machtzentren im Dorf bilden. Da ist zum einen Gombrowski, Spross eines Großgrundbesitzers, dessen Besitztum ihm zwar während der DDR-Zeiten enteignet wurde, der jedoch traditionell die Macht im Dorf als Leiter der daraus sich bildenden LPG innebehielt. Sein Widersacher ist Kron, ehemalige Brigadeführer in der LPG, dessen Neid und Wut gegenüber Gombrowski sich mit jeder politischen und aktuell wirtschaftlichen Wende steigert. Denn Gombrowski bleibt auch nach der Wiedervereinigung der bestimmende, Arbeit gebende Mann im Dorf, dem es mit seiner Gefälligkeiten-Philosophie geschickt gelingt, viele Menschen loyal an sich zu binden. Dieses antagonistische Konstrukt zwei Machtmänner in einem Dorf erinnert mich an die herrlich komischen, italienischen Filmhelden in meiner Kindheit: Don Camillo und Peppone. Doch während dort die Konflikte komödiantisch gelöst werden und der Autor Giovannino Guareschi unterschwellig geschickt seinen Landsleuten vermittelt, dass nicht Ideologien, sondern Humanität am Ende gewinnt, endet hier die Geschichte von „Unterleuten“ tragisch und hoffnungslos. Und da dies letztlich auch eine Moral von der Geschichte ist, könnten die Kritiker von Juli Zeh wieder fehlenden Humor anprangern. Auch in dem Dorf „Unterleuten“ leben – wie überall – nun mal überwiegend Spaßverderber, oder wie der im Roman öfter zitierte Erfolgsguru Manfred Gortz sagen würde: Killjoys. Die Killjoys machen den wenigen Movern in unserer Gesellschaft das Leben verdammt schwer. Unabhängig ob Frau oder Mann, alt oder jung, Wessi oder Ossi, Bauer oder Dozent, die meisten sind Jammerer und Hasenfüße, die das ihnen bekannte Unglück der vagen Chance auf das Glück vorziehen. Und schlimmer noch: Killjoys verderben anderen auch noch den Spaß, den sie selbst nicht haben. Der Prototyp hierfür ist Gerhard, ein ausgestiegener Soziologie-Dozent, der mit seiner 20 Jahre jüngeren Frau Jule und dem Baby Sophie als Vogelschützer sich in dieser vermeintlichen Idylle niedergelassen hat. Im Gegenteil dazu gibt es die rare Spezies der Mover, die sich nicht von Zweifeln und dialektischen Bedenken bremsen lässt, sondern deren Zugehörige fokussiert ihre Ziele vor Augen haben, vorangehen und überzeugt davon sind als Beweger sowohl ihre und damit auch die Welt im allgemeinen besser zu machen. Den „Mover“ in Unterleuten repräsentiert – neben dem alten Gombrowski – die junge, zugezogene Linda Franzen, die auch ganz beseelt von Manfred Goltz Erfolgsphilosophie ist. Die Mitzwanzigerin hat nur ein Ziel: mit ihrem schon lange gehegten Hengst ein Gestüt in Unterleuten zu begründen. Menschen werden von einem Mover wie ihr nur danach wertgeschätzt wie nützlich bzw. hinderlich sie für das Erreichen ihres Ziels sind. Diese abgeklärte, junge Generation taucht in Unterleuten auch in Person des Vertreters eines Windkraftanlagenbetreibers namens Pilz auf. Arne, der Bürgermeister von Unterleuten, staunt nur: „Die jungen Leute von heute besaßen erstaunliche Talente. Zum Beispiel ungeheure Effizienz bei vollständiger Abwesenheit von Humor. Einem wie Pilz ging es nicht mehr ums gute Leben, es ging ihm nicht einmal um Geld. Was diese Generation antrieb, war der unbedingte Wunsch, alles richtig zu machen.“ Juli Zeh erzählt sehr klug und vielschichtig. Man kann den Roman zunächst als gesellschaftliche Analogie lesen. Ob zeitlos oder eher zeitgeistig ist wohl individuell unterschiedlich. Ich las über einen ebenso archaischen wie auch anarchischen Mikrokosmos, der mir die Dynamik veranschaulicht, wie sich in Gesellschaften immer wieder Machtverhältnisse ausbilden, die sich über kurz oder lang in brutalen Konflikten entladen. Man kann den Roman auch als psychologische Studie aktueller Stereotypen in unsere Gesellschaft lesen. Jede Figur repräsentiert da wohl eine von den im Mainstream sich aktuell herausbildenden Soziotypen. Interessant hierbei ist, dass eigentlich keine Figur so angelegt wurde, dass man sich mit ihr identifizieren mag. Das sollte uns als Leser selbstkritisch werden lassen. Ein Spiel ließe sich unter mitlesenden Freunden veranstalten. Veranschaulichen wir uns – vielleicht nicht schmeichelhaft – unser Fremdbild: jeder soll die Figuren/Rollen im Roman mit seinen Freunden besetzen. Das kann man anonym austauschen und erfährt vielleicht so, welchen Stereotyp man aus Sicht seiner Freunde repräsentiert. Nicht zuletzt kann man „Unterleuten“ auch als Schauerballade und Abgesang auf die verklärte Landliebe lesen. Die naive Sehnsucht nach der (noch) heilen Welt wird hier herbe ernüchtert von einer, die es bekanntlich wissen muss: Juli Zeh lebt ja seit einige Jahren auf dem Land. Ich denke, sie wird dort aber dennoch auch ihren Spaß haben. Es ist ein intelligent konstruierter und in klarer, flüssiger Prosa formulierter Gesellschaftsroman mit vielen gleichberechtigten Akteuren, die alle eins vereint: sie entwickeln sich nicht. Alle treten am Ende aus der Geschichte genauso heraus wie sie eingetreten sind. Manche fliehen, manche sterben und andere bleiben. Doch keiner hat etwas dazu gelernt, keiner hat Einsichten erlangt, keiner verändert sich. Es ist also kein Entwicklungsroman. Das macht es leicht, den Roman zuzuklappen und sich zu denken: Nicht meine Welt. Doch eines sollte man sich danach beantworten können: Bin ich ein Killjoy oder ein Mover? Oder gleich den Ratgeber „Dein Erfolg“ von Manfred Gortz lesen.
Elke Heid-Paulus, 25.04.2016
Vom Leben auf dem Lande
Unterleuten ist ein fiktiver Ort in Brandenburg und der Titel des neuen Romans von Juli Zeh. Die mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnete Autorin seziert mit klarem Blick eine dörfliche Gemeinschaft im Osten Deutschlands nach der Wende. Möglicherweise hat Zeh hier auch eigene Erfahrungen verarbeitet, lebt sie doch seit geraumer Zeit im Havelland. Die Bewohner von Unterleuten haben wechselhafte Zeiten hinter sich. Zumindest ein Teil von ihnen. Bezahlte Arbeit war und ist knapp, im Wesentlichen leben sie von den Erträgen ihres Grund und Bodens. Die Enteignungen im Zuge der Zwangskollektivierung in den sechziger Jahren haben sie weggesteckt, ebenso die Umverteilungen nach der Wende. Natürlich gibt es innerhalb des Dorfes Gewinner und Verlierer, und die daraus entstandenen Animositäten prägen den Umgang miteinander. Und dann sind da noch die Zugezogenen, Stadtflüchtlinge aus Berlin, die in Unterleuten ihren Traum vom Landleben verwirklichen möchten. Konflikte mit den Alteingesessenen sind hier schon fast vorprogrammiert. Es geht um Rivalitäten, um Intrigen, um Wendegewinner und Altkommunisten, um Abhängigkeiten finanzieller und emotionaler Natur, um Liebe und Hass. Und um einen projektierten Windpark und somit natürlich um Geld. Es sind sehr unterschiedliche Charaktere, die die Handlung tragen: Jule und Gerhard, sie eine Übermutter in Reinkultur, er ein verkrachter Soziologe, der nun als Vogelwart die seltene Spezies der Kampfläufer in der Unterleutner Heide schützt und sämtliche Bebauungswünsche der Einwohner durch Einsprüche blockiert. Linda, von ihrem Partner insgeheim „Rossfrau“ genannt, eine willensstarke Pferdeflüsterin aus Berlin, die sich und ihren Vierbeiner in der Villa Kunterbunt ein neues Heim schaffen möchte. Grombowski, Großgrundbesitzer und Geschäftsführer der Ökologica, schon zu DDR-Zeiten auf der Siegerstraße, der skrupellos in der Wahl seiner Mittel ist. Kron, ein kämpferischer Altkommunist, vom Leben gezeichnet und seiner Behinderung gehandicapt. Und Schaller, ein Typ raue Schale, weicher Kern, der begnadete Mechaniker und Nachbar von Jule und Gerhard, die ihn nur „das Tier“ nennen - meine Lieblingsfigur. Die Autorin lässt in ihrem umfangreichen Roman einen auktorialen Erzähler die Geschehnisse aus den wechselnden Perspektiven der Unterleutner schildern. Die einzelnen Kapitel sind jeweils mit dem Namen des Protagonisten überschrieben, sodass die Zuordnung sehr einfach ist. Der Leser entwickelt Nähe zu diesen Menschen, aber kaum Sympathien, da (fast) jeder in Unterleuten seine eigenen Ziele verfolgt. Sie geizt auch nicht mit spitzen Bemerkungen zur politischen Situation in diesem unserem Lande, aber immer in dem passenden Kontext. Natürlich kann sie das eine oder andere Klischee nicht vermeiden, wenn Stadt und Land aufeinandertreffen. Aber darüber kann und sollte man großzügig hinwegsehen, es fällt auch kaum ins Gewicht. Juli Zeh hat mit „Unterleuten“ einen Gesellschaftsroman geschrieben, wie man es in erster Linie von den amerikanischen Autoren kennt. Mir fällt hier spontan Jonathan Franzen ein. Ein großer Wurf von einer der besten Autorinnen, die wir momentan in Deutschland haben – Lesen!
Sarahs Bücherregal, 19.04.2016
Wenn eine Gesellschaft sich selbst zerstört
Unterleuten ist ein Ort, der seit Jahren nach den gleichen Regeln funktioniert. Es gibt die Zugezogenen, die sich auf dem Land mehr Lebensqualität erhoffen, den Besitzer der „Ökologica“, einem landwirtschaftlichen Betrieb, der als Nachfolger der LPG nahezu einziger Arbeitgeber im Ort ist. Dann die klassischen „Wendeverlierer“, die nicht akzeptieren wollen, dass die Welt sich verändert hat. Dazwischen stehen ihre Familien, Kinder und Bekannte, die alle ihren festen Platz in dem Netz aus Beziehungen haben. Als Unterleuten zum Fördergebiet für erneuerbare Energien werden und zahlreiche Windkrafträder bekommen soll, brechen plötzlich alte Kämpfe wieder auf, Rollen werden neu verteilt und das lange so stabile Beziehungsgeflecht droht zu zerbrechen. Juli Zeh ist mit „Unterleuten“ das Portrait einer fragilen Gesellschaftsstruktur gelungen, die sich plötzlich in einem Kampf wiederfindet. Systematisch legt sie die Schwachstellen einer Gesellschaft offen, die ohne Außenkontakt völlig in sich selbst verkeilt scheint. Personen, die von außerhalb in den Ort gezogen sind, stehen am Anfang noch distanziert am Rande und glauben, sich in diese Struktur nicht hereinziehen lassen zu wollen, doch unglaublich schnell finden sie sich selbst als Teil dieses Abhängigkeitssystems wieder, das am Ende in einen Kampf auf Leben und Tod endet. Frei nach dem Motto „Was ich nicht bekomme, soll auch keiner anderer haben!“ schraubt sich das Aggressionspotenzial sowohl im Subtilen als auch in offener Gewalt auf einer nach oben scheinbar offenen Skala immer weiter hoch, bis Entscheidungen getroffen werden, die zu Beginn noch keiner für möglich erachtet hätte. Die Autorin beschreibt beeindruckend kühl und distanziert vom Niedergang der menschlichen Gemeinschaft angesichts der Aussicht auf Geld und Einfluss. Deprimierend einfach zerlegt sie die gesellschaftlichen Strukturen, bis am Ende nur noch Individuen stehen, die hilflos um sich schlagend ihre Position verteidigen. „Unterleuten“ ist ein großer Roman über die großen Probleme der Gesellschaft und in seiner gleichzeitig mitreißenden und spannenden Schreibweise ganz sicher herausragend in der aktuellen Literaturlandschaft.
Buchrevier, 18.04.2016
Ganz einfach und unglaublich schwer
Ich weiß gar nicht, ob ich in jungen Jahren offener oder noch verstockter war als ich es jetzt bin. Man sagt ja älteren Männern eine nachlassende Aufgeschlossenheit nach. Zu Recht, denn genügend Erfahrungen wurden schließlich gemacht, das Weltbild steht. Wann, wenn nicht jetzt, ist die richtige Zeit für eine klare Meinung? “Hab ich doch gesagt” und “Ist so”” sind zu Lebens-Leitsprüchen geworden. Und davon gibt es bei mir von Jahr zu Jahr immer mehr. Einer lautete bisher: “Juli Zeh geht gar nicht”. Ob Vorratsdatenspeicherung, NSA-Affäre oder sonstige politische Debatten – Juli Zeh saß in gefühlt jeder zweiten TV-Talkrunde mit im Stuhlkreis. Wenn ich ihr engagiertes, sendungsbewusstes Gesicht sah, habe ich regelmäßig umgeschaltet. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, ein Buch von ihr zu lesen. Doch dann habe ich auf einem Blog die erste hymnische Besprechung über ihren neuen Roman gelesen. Ein paar Tage später noch eine und dann noch eine. Und da kam ich dann schon ins Grübeln. Sollte ich vielleicht mal mein Urteil überdenken? Schließlich hatte ich Juli Zeh bisher noch gar nicht als Autorin, sondern nur als nervige TV-Debattiererin kennengelernt. Im Zweifel könnte ich ja meine Antipathie weiterführen und einen schönen Verriss schreiben. In einem Anflug von Altersmilde bestellte ich mir also das Buch, auch um mal zu schauen, was an Volker Weidermanns Zitat auf dem Backcover dran ist, der da sagt: “Im Grunde ist Juli Zeh genau jene Schriftstellerin, nach der sich alle sehnen.” Eines kann ich schon mal vorwegnehmen. Weidermann hat Recht. Juli Zeh ist eine grandiose Schriftstellerin. Ihr Roman hat alles, was ein großer Gesellschaftsroman haben muss: Ein glaubwürdiges Setting, vielschichtige und interessante Charaktere, einen spannenden Plot mit aktuellen Bezügen und einen lebendigen, flüssigen und abwechslungsreichen Erzählstil. Das alles lässt einen Seite für Seite wie im Rausch umblättern. Ja, Unterleuten ist ein echter Pageturner. Kommt dick daher wie ein Tausendseiter, erscheint einem beim Lesen wie ein dünner Zweihundertseiter, hat aber tatsächlich 635 Seiten. Man bleibt dran, ist am Haken und hat in ein paar Tagen diesen Roman ausgelesen. Und seien wir doch mal ehrlich, das ist doch genau das Leseerlebnis, wonach wir alle immer wieder suchen. Dieses Eintauchen, dieses Sich-Verlieren in einer Geschichte, lesen bis einem spät in der Nacht die Augen zufallen, nur um morgens beim ersten Kaffee schon wieder weiterzulesen. Lesen in der Mittagspause, lesen als Beifahrer im Auto, in der Bahn und auf dem Klo. Ja, Volker Weidermann hat vollkommen recht – wenn ein Autor oder eine Autorin es schafft, diesen Leseflow zu erzeugen, dann ist das der perfekte Schriftsteller. Was mich persönlich an diesem Roman so fasziniert hat, ist nicht der Plot, nicht das Setting in der Brandenburgischen Provinz, nein, das waren die Charaktere. Juli Zeh hat sich die Zeit genommen, jeden einzelnen der zahlreichen Romanfiguren detailliert und liebevoll einzuführen. Da ist der alte Kron, einer dieser Hundertprozentigen aus der alten DDR, einer, der das alte Regime, die alte Ordnung noch immer in sich trägt. Oder sein Gegenspieler Gombrowski, ein Bär von einem Mann, einer der alles aufgrund seiner schieren Leibesfülle dominiert, einer der sich einsetzt, der alles gibt, Gutes tut, aber was auch immer er auch tut, immer Feindbild bleibt. Oder Jule und Gerhard, ein stadtflüchtendes Akademiker-Paar, er alt, sie jung, mit Kind und Tragetuch. Dann wären da noch Frederic und Linda, er Computernerd und Spieleentwickler, sie Pferdeflüsterin und dominante Powerfrau, die rücksichtslos ihre Interessen durchsetzt. Alle diese Figuren, ihre Denkmuster, Zwänge und Handlungsroutinen lernen wir im Verlauf dieses Romans detailliert kennen. Juli Zeh baut auf, beschreibt, berichtet und erzählt ihre Geschichte auf eine angenehm zurückhaltende Weise. Ich hätte jetzt klare politische Standpunkte erwartet, das mir aus den TV-Talkshows bekannte Sendungsbewusstsein, aber nichts davon. Ich fühle mich als Leser nicht gedrängt, nicht in eine bestimmte Richtung manövriert. Zeh legt selbst die Figuren, die nicht ihrem gesellschaftspolitischen Weltbild entsprechen, mit großer Empathie und Sympathie an. Ich muss sagen, das hätte ich jetzt nicht erwartet. Ich hatte Juli Zeh als Überzeugungstäterin eingestuft, eine, die jedem immer und überall ihre Weltsicht aufs Auge drückt. Eine politische Autorin, die wie Sartre oder Brecht in erster Linie deswegen schreibt, um Missstände anzuprangern, Dinge zu verändern, wachzurütteln. Vielleicht will sie das insgeheim auch, aber wenn, dann lässt sie es sich nicht anmerken. Trotzdem ist Unterleuten ein politischer Roman, hier kommt alles das zusammen, was in unserer Gesellschaft an Kräften agiert. Das Kapital, das Gestern, das Morgen, Ego-Shooter, Verkopfte, Bodenständige, Bestimmer und Befehlsempfänger und der ganze Rest von Menschen, die weder das Eine noch das Andere sind, sondern einfach nur versuchen klar zu kommen. Und dann ist da noch die nette Posse rund um den Lebensberater und Buchautor Manfred Gortz, dessen Erfolgsformeln rund um Machtmenschen (Movern) und ihren Gegenspielern, den sogenannten Killjoys, im Buch immer wieder zitiert werden. Hier durchbricht Juli Zeh die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit, die Romanwelt tritt ins echte Leben ein. Das zitierte Buch “Dein Erfolg” gibt es wirklich, man kann es kaufen, den Autor Manfred Gortz gibt es aber anscheinend nicht, er scheint eine ausgelagerte Romanfigur zu sein. Wenn es denn so ist, dann wäre das eine interessante literarische Spielart mit Aha-Effekt. So lass ich mir Gesellschaftskritik gerne gefallen. Gekonnt und intelligent in Szene gesetzt. Natürlich werden auch hier Klischees bedient – der Computernerd, der Investor aus Rüsselsheim, der Möchtegernschriftssteller – aber Juli Zeh verschont uns mit ausgelutschten Phrasen und verknüpft jede Position in der Unterleutener Windkraft-Debatte mit einem persönlichen Schicksal. So durchlebt man mit jeder Figur alle Argumente und versteht auf einmal jeden einzelnen Standpunkt. Das ist grandios und prinzipiell genau das, was uns bei allen öffentlichen Debatten immer wieder fehlt: Verständnis für die Sichtweise des jeweils anders Denkenden. Eigentlich ganz einfach und trotzdem unglaublich schwer.
Helmut Horten, 17.04.2016
Lesenswert!
Gegen "Unterleuten" waren die Intrigenspielchen am Hofe Ludwigs des XIV. nur Kasperletheater. Ein herrliches Buch!
FrauMüller, 14.04.2016
Juli Zeh: Unterleuten
Juli Zeh hat mit ihrem neuen Buch "Unterleuten" ein grandioses Stück Gesellschaftsgeschichte der Gegenwart geschrieben. Unterleuten ist ein kleines Dorf in Brandenburg, nur knapp eine Stunde von Berlin entfernt. Dort können Städter die Ruhe und die Natur genießen. Und genau das tut Prof. Dr. Gerhard Fließ, der seiner Unilaufbahn den Rücken kehrt, um in der Vogelschutzwarte dort zu arbeiten, um die vom Aussterben bedrohten Kampfläufer (die auch auf dem Cover abgebildet sind) zu schützen. Mit dabei sind seine Frau Jule und das Baby. Auch lesen wir von Linda und ihrem Freund Frederik, die gemeinsam Pferde züchten möchten. Also fünf (mit Baby ;-)) zugezogene Städter in der tiefsten Provinz. Wie immer tragen diese natürlich ihre weltmännisch und großstädtisches Gehabe zur Schau, was den Unterleutern erst einmal nicht gefällt. Herrlich idyllisch ;-). Auf einer Bürgerversammlung wird bekannt, dass eine Investmentfirma am Ort und drumherum Windkraftanlagen bauen wollen. Unklar ist, auf wessen Grundbesitz das ganze stattfinden soll. Nun ist es vorbei mit der Idylle im 250-Seelen-Dorf Unterleuten. Die Bewohner rüsten sich zum Kampf und so kommen längst vergangene und verdrängte Emotionen, Streitigkeiten, alte Verletzungen etc. hervor ... Auch die zugezogenen Städter verstricken sich immer mehr in ein intrigantes Spiel, um das Bauprojekt für sich zu nutzen ... Das scheint das Ende der Dorfgemeinschaft in Unterleuten ... Ich mag die Schreibe von Juli Zeh sehr gerne, habe alle ihre Bücher gelesen und auch mit "Unterleuten" ist ihr grandiose Literatur gelungen. Klar schreibt sie über eine Dorfgemeinschaft, eine Gesellschaft, die aus Gewinnern und Verlieren, Alten und Jungen, Ost- und Westdeutschen, Städtern und Ländlern ... Sie zeigt, was Gier mit den Menschen macht und Gründe, warum ein Mensch seine selbstgesteckten moralischen Grenzen überschreitet. Fazit: Ein aktueller, bilanzziehender Gesellschaftsroman, der brandaktuell ist. Formvollendet geschrieben, kein Satz ist zuviel oder zu lang, perfekt seziert sie unsere Gesellschaft mit all ihren unterschiedlichen und gegensätzlichen Facetten. Ein großer Roman über die Schwächen der Menschen - unter Leuten eben ;-)! Absolut und uneingeschränkt lesenswert! Das schreibt der Luchterhand Verlag: Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf "Unterleuten" irgendwo in Brandenburg. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den kleinen Häusern, die sich Stadtflüchtlinge aus Berlin gerne kaufen, um sich den Traum von einem unschuldigen und unverdorbenen Leben außerhalb der Hauptstadthektik zu erfüllen. Doch als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist Über die Autorin: Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, Jurastudium in Passau und Leipzig, Studium des Europa- und Völkerrechts, Promotion. Längere Aufenthalte in New York und Krakau. Schon ihr Debütroman „Adler und Engel” (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Rauriser Literaturpreis (2002), dem Hölderlin-Förderpreis (2003), dem Ernst-Toller-Preis (2003), dem Carl-Amery-Literaturpreis (2009), dem Thomas-Mann-Preis (2013) und dem Hildegard-von-Bingen-Preis (2015). Buchinformationen: Gebundene Ausgabe: 640 Seiten Verlag: Luchterhand Literaturverlag, erschienen am 8. März 2016 Preis: 24,99 Euro ISBN-13: 978-3630874876
Fräulein Briest bloggt, 13.04.2016
Ein grandioses Stück Literatur!
In Unterleuten, Brandenburg, etwa eine Stunde von Berlin entfernt, kann man das stressige Stadtleben hinter sich lassen, die Ruhe der Natur und des Landlebens genießen. So denken Gerhard Fließ, der seiner Professur an der Universität den Rücken gekehrt hat und statt dessen in der Vogelschutzwarte der Region arbeitet, um die seltenen Kampfläufer zu schützen, seine Frau Jule nebst frischem Baby sowie Linda Franzen, die das Dorf als Basis ihrer zukünftigen Pferdezucht auswählt und deren Partner Frederik, der eigentlich die Großstadt Berlin liebt. Die vier Zugezogenen tragen ihre großstädtische Arroganz zur Schau und stiefeln mit Selbstgerechtigkeit durch das Dorf, von dessen Vergangenheit und der der Bewohner sie nichts ahnen. So trügt die Idylle des gemütlichen Landlebens. Bis eines Tage eine Investmentfirma auf einer Bürgerversammlung bekannt gibt, dass Ort und direkte Umgebung für den Bau von Windkraftanlagen durch Land und Regierung auserkoren wurden. Lediglich die Frage, auf wessen Grundbesitz das Ganze gebaut wird ist noch offen, und somit auch, wer zukünftig ein finanziell gesichertes Leben dank der Windkraft genießen darf. Vorbei ist es mit der Ruhe in dem 250-Einwohner-Ort. Die Bewohner gruppieren sich um die Alten Kron und Gombrowski, beides Anführer in der Dorfgemeinschaft und seit Jahrzehnten im Streit liegend. Symbole für die Gewinner und Verlierer der Wende. Sie tragen alte Verletzungen zur Schau, holen nie verjährende Streitigkeiten hervor, deren Narben gerade anfingen zu heilen und beginnen, sich gegenseitig zu vernichten. Gleichzeitig verstricken sich die neu Hinzugezogenen in eigene und fremde Intrigen, um das Bauprojekt zu ihren eigenen Gunsten zu nutzen. Die Dorfgemeinschaft zerbricht gänzlich, als die Enkelin Krons verschwindet und Unschuldige fast zu Tode geprügelt werden. Juli Zeh ist mit „Unterleuten“ ein grandioses Stück Literatur gelungen. Ein Gesellschaftsroman, der Bilanz zieht. Mit klarem Blick auf die Konflikte in der deutsch-deutschen Gesellschaft schreibt die Autorin über die schmalen Grade auf den unterschiedlichen Lebensebenen. Sie beleuchtet die Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland, Stadt- und Landleben, jüngerer und älterer Generation, finanziell gesicherte und ungesicherte Existenzen. Sie schreibt über die Gewinner und die Verlierer der deutschen Wiedervereinigung, der Umstrukturierung des politischen Systems in Ostdeutschland und die langfristigen Konsequenzen für die Einwohner der neuen Bundesländer. Sie zeigt auf, was den Menschen zu Habgier und Egozentrik verleiten und dabei eigene, auch moralische, Grenzen überschreiten lässt. Juli Zeh spricht in einer glasklaren Sprache. Keine Endlossätze, die den Leser in der Vielschichtigkeit der Geschichte verstricken. Dafür aussagekräftige Dialoge, Einblicke in die Vergangenheit der Protagonisten in kurzen inneren Monologen oder durch den allwissenden Erzähler. Die Autorin versteht es, Spannung aufzubauen, ohne den Roman in einen Thriller zu verwandeln. Sie vermittelt alltägliche Geschehen, die jeden Tag, jeden Einzelnen unserer Gesellschaft widerfahren können und lässt dabei die Hauptfiguren politische und soziale Stellung beziehen und einen Platz in der Gesellschaft finden. Andere wiederum charakterisiert sie meinungslos und situationsentsprechend angepasst. „Unterleuten“ ist ein Gesellschaftsroman, der der heutigen Zeit entspringt und entspricht. Juli Zeh wählte für ihren Roman essentielle, existentielle und unserer Zeit entsprechende Themen aus. Leicht hätte dieser Roman trocken und langweilig geraten können. Juli Zeh gelingt es aber, einen kraftvollen, energiereichen, wütenden und auch suchenden Roman zu schreiben, in dem sich der Leser schon nach wenigen Seiten verliert und in allen Gesellschafts- und Moralschichten wiederfinden kann. Ich ziehe den Hut vor Juli Zeh!
Alexandra Honig, 13.04.2016
Ein Kann, aber kein Muss
Unterleuten Juli Zeh „Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf "Unterleuten" irgendwo in Brandenburg. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den kleinen Häusern, die sich Stadtflüchtlinge aus Berlin gerne kaufen, um sich den Traum von einem unschuldigen und unverdorbenen Leben außerhalb der Hauptstadthektik zu erfüllen. Doch als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist …“ Nachdem der Roman überall so groß angepriesen worden ist, waren meine Erwartungen natürlich entsprechend hoch. Leider wurde ich sehr enttäuscht. Ich habe bereits Spieltrieb von der Autorin gelesen, was mir recht gut gefallen hat, aber ‚Unterleuten’ hat mich leider nicht umgehauen. Der Schreibstil ist gut, aber zeitweise etwas zu geschwollen. Die Handlung zieht sich durch ellenlange Beschreibungen von banalen Dorfstreitigkeiten und spröden Bewohnern. Mir hat so ein bisschen eine spannende Thematik gefehlt und ich konnte mir auf Grund von Geschehnislosigkeit auch die schien unzähligen Namen nicht merken. Das Buch besteht allein aus der Beobachtung, Analyse und intensiven Beschreibung der Bewohner, die mich aber leider sehr gelangweilt haben. Die besagten Bewohner streiten sich um eine neue Windkraftanlage und alle im Dorf befinden sich deshalb im Zwist. Das wars dann auch schon.. Ich habe einfach mehr erwartet! 3 von 5
Marius , 05.04.2016
Das Dorf, in das man nicht ziehen möchte
„Unterleuten ist ein Gefängnis“ (Kathrin Kron-Hübschke) „Unterleuten bedeutet Freiheit“ (Gerhard Fließ) Zwischen diesen zwei Zitaten von Bewohnern des fiktiven Örtchens Unterleuten spielt sich im neuen Buch von Juli Zeh alles ab. Unterleuten liegt irgendwo in Brandenburg, eine Autostunde aber auch eine ganze Welt von Berlin entfernt. Das Dorf ist eigentlich recht pittoresk und wirkt aus der Zeit gefallen (keine Gehsteige, kein gemeinsames Abwassersystem, Lohn und Brot durch die Agrarwirtschaft) – doch wehe man blickt hinter die Fassade. Der doppeldeutige Titel Unterleuten gibt in diesem Buch eindeutig die Schlagrichtung vor. Juli Zeh lässt vor den Augen des Lesers ein Dorf mit einem Personaltableau entstehen, das so disparat wie funktional ist. Jedes Kapitel wird aus der Sicht eines anderen Dorfbewohners erzählt und so beobachtet man das wunderliche Geschehen, dass sich sukzessive durch immer wieder neue Augen betrachtet ergibt, mit einer Mischung aus Befremden und Faszination, Das auslösende Momentum für alle Dynamiken, die sich auf über 640 Seiten im Dorf entfalten werden, ist der geplante Bau einer Windkraftanlage. Die Heidelandschaft rund um Unterleuten wurde als Bebauungsgebiet ausgewiesen – diese Pläne lassen nun das ganze Dorf förmlich explodieren. Während die einen um die aus der DDR hinübergerettete Agrargemeinschaft fürchten, sieht ein Vogelschützer die ornithologische Vielfalt in Unterleuten bedroht. Dabei könnte das Geld, das der Bau der Windräder staatlich subventioniert einbrächte, das ganze Dorf auf Vordermann bringen. Mit großer Lust stößt Juli Zeh den ersten Dominostein in diesem Roman um, dem viele weitere Steine folgen werden. Sie lässt die unterschiedlichen Lebensmodelle aufeinander prallen, lässt Westler an Ostler geraten, lässt Resignierende auf Veränderer stoßen und beobachtet aus den wechselnden Perspektiven, wie sich die ganzen kleinen schlummernden Glutnester langsam zu einem Großfeuer entzünden. Sie arbeitet hierbei auch stark mit den Mitteln der Komödie, denn immer wieder reden die Unterleutner Bewohner aneinander vorbei, wittern Konflikte, wo eigentlich nur Missverständnisse herrschen und manövrieren sich in Situationen, die eigentlich niemand wollte. Ihr Figuren legt Juli Zeh dabei auch mit einer ordentlichen Lust an der Karikatur an. Im Haus der Vogelschützers (der eigentlich ein gescheiterter Berliner Soziologieprofessor ist) gibt es Hirseauflauf, der Großgrundbesitzer ist feist und versteht es seine Pfründe zu bewahren. Dies ist zwar nicht allzu subtil, macht aber Freude zu lesen. Dieses Dorf könnte man sich auch in einer Serienverfilmung gut vorstellen – hinziehen möchte man aber auf keinen Fall!
Marina Büttner, 02.04.2016
Menschliches, allzu Menschliches: Juli Zeh beleuchtet dörfliche Beziehungsgeflechte
Von Windkraftanlagen und Kampfläufern, von “Zugezogenen” und “Eingeborenen”, vom erträumten ruhigen Leben auf dem Land und der weit weniger romantischen Dorfwirklichkeit. Juli Zehs neuer Roman ist ein gelungenes Gesellschaftsporträt und ein echter Schmöker! In kürzester Zeit war ich von der gut konstruierten Story gefesselt. Da sind auch über 600 Seiten kein Problem. Zudem ist Unterleuten aus sprachlicher Sicht keine große Herausforderung, aber bester Juli-Zeh-Stil. Unterleuten ist ein kleines Dorf in Brandenburg, welches in Zehs Roman zum Brennpunkt gesellschaftlicher, politischer und persönlicher Auseinandersetzungen wird. Es gibt auf der einen Seite die alteingesessenen Bewohner, die beharrlich den Nationalsozialismus, den DDR-Kommunismus und nun den Kapitalismus überdauern. Auf der anderen Seite stehen die neu Zugezogenen, die Stadtflüchter, die ihr Heil in ländlicher Natur suchen. Die Konflikte sind somit vorprogrammiert. Alles eskaliert, als auf der Einwohnerversammlung der Bau eines Windkraftparks angekündigt wird … “Im Spätkapitalismus gab es keine Gesellschaft mehr, sondern nur noch ein Gesellschaftsspiel, dessen Ziel darin bestand, die kläglichen Überreste von Politik möglichst gekonnt in Unterhaltungswert umzusetzen. Da die Politiker nach eigenem Verständnis ohnehin nichts mehr zu entscheiden hatten, verwandelten sie sich in Politikdarsteller, deren Hauptaufgabe in Emotionstheater, Überzeugungsinszenierung und Entscheidungssimulation bestand. In gewisser Weise war das Kunst. Es gab Empörungsarien, Schuldzuweisungssinfonien und Forderungsballaden.” Nun geht es darum, entweder dagegen oder dafür zu sein. Diejenigen, die Land besitzen, das für den Bau geeignet ist, beginnen einen erbitterten Kampf und scheuen vor keinerlei Intrigen zurück. Tatsächlich hat jeder vor allem seinen eigenen Vorteil vor Augen. Da gibt es eine Zugezogene, die “Pferdeflüsterin”, die eine heruntergekommene Villa renoviert und eine Pferdezucht aufziehen will und anhand eines Erfolgs- und Motivationsratgebers alle Register zieht. Da gibt es einen reichen Investor aus dem Westen. Und da gibt es Gombrowski, den Verwalter, der erfolgreich die ehemalige LPG in die neue Zeit geführt hat und mit den Einnahmen des Windparks den Betrieb und somit Arbeitsplätze für das Dorf erhalten will. Doch Gombrowski hat Leichen im Keller. Mit seinem Widersacher Kron führt er seit Jahrzehnten einen erbitterten Krieg, der nun aufgrund der Windparkplanung wieder auflebt. Kron, ehemals eingeschworener Genosse, hatte mit der Enteignung des Gutes von Gombrowskis Familie zu tun. Dennoch arbeiteten beide jahrelang zusammen in der LPG. Der Hass, der lange unterdrückt war, tritt nun massiv zu Tage. Dunkle Ereignisse, die lange Zeit verheimlicht wurden, lassen sich nun nicht mehr so leicht verschweigen. Selbst bislang unbescholtene Bürger fühlen sich zu Gewaltausbrüchen getrieben. Es kommt zu einem rasanten Showdown, bei dem Juli Zeh ein wenig überdreht, was aber dem Gesamteindruck des Romans nicht schadet. “Seiner Erfahrung nach wurden die schlimmsten Übel der Welt nicht durch böse Menschen bewirkt. Von denen gab es in Wahrheit erstaunlich wenige. Viel gefährlicher waren Leute, die sich im Recht glaubten. Sie waren ungeheuer zahlreich, und sie kannten keine Gnade.” Zeh bringt in diesem Roman aktuelle gesellschaftsrelevante Themen aufs Tapet. Zudem schildert sie anhand ihrer detailgenau ausgearbeiteten Figuren grandios, wie menschlich Menschen sind, wie leicht Konflikte eskalieren, wie gerne Intrigen gesponnen werden, wie schnell Menschen zu Gewalttätern werden, wenn es um Persönliches, Emotionales und um das liebe Geld geht. Auch den dörflichen Charakter weiß sie gut zu schildern – diese Mechanismen, die so ganz anders funktionieren als in einer Großstadt. Sie teilt den Roman in Kapitel auf, in denen ihre Protagonisten abwechselnd zur Sprache kommen. Somit erlebt der Leser die Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln. Das ist geschickt gemacht, denn so steigt auch die Spannung und man kann sogleich seine persönlichen Sympathien und Antipathien verteilen. Mehr wird nicht verraten, denn es lohnt sich wirklich diesen Roman zu lesen!
herzdeinbuch, 20.03.2016
Ein Dorf, gespalten in Köpfen und Herzen...
Inhalt Wie ein Paradies für Aussteiger, eine Idylle fernab vom Großstadtleben, dem geschäftigen Treiben der Menschen, liegt das kleine Dorf Unterleuten da. Und während die Mauer schon längst gefallen ist, erinnern sich die schrulligen Bewohner noch 2010 an die Zeit zurück, in der das Dorf in der DDR gelebt hat, an all die vergangenen Taten und Probleme. Als ein Windpark in die romantische Landschaft gebaut werden soll, klaffen jedoch die ganzen alten Wunden wieder auf, Streitereien nehmen den ganzen Ort in Anspruch und drohen, nicht nur Einzelschicksale zugrunde zu richten, sondern weitere, größere Tribute der Einwohner zu fordern… Meine Bewertung Wieder einmal hat es ein Buch von Juli Zeh geschafft, mich an die Seiten zu fesseln und absolut mitzureißen. “Unterleuten” war ein Rezensionsexemplar, das meine Juli Zeh-Sammlung allmählich vervollständigt, und ich freue mich sehr, dass ich es lesen durfte, dass ich wieder einmal in Charaktere eintauchen durfte, die mir persönlich nicht fremder sein könnten, und deren Schicksale mich doch so sehr mitgenommen haben, dass ich am Ende des Buches zitternd dasaß. Juli Zeh hat in meinen Augen ein besonderes Talent, mit Sprache umzugehen, nüchtern große Gefühle zu beschreiben, ihren Charakteren Leben einzuhauchen, so unterschiedlich die auch sein mögen. Gerade an “Unterleuten”, das mit zahlreichen Handlungssträngen, vielfältigen Charakteren und einem roten Faden glänzt, den man selten bei so einem komplexen Roman finden kann, hat sie wieder einmal bewiesen, dass sie in der Lage ist, den Leser in eine Welt zu entführen, die so real ist, dass man sich alles vorstellen kann. Mit großer Liebe zu Details, bis ins Kleinste ausgearbeiteten Eigenheiten der Dorfbewohner, hat dieses Buch mich in seinen Bann gezogen. Der große Konflikt dreht sich in vielerlei Hinsicht um Altlasten, Streitereien und Schicksale, die durch die Wende beeinflusst wurden. Die alteingesessenen Dorfbewohner, wie der steinharte Kommunist Kron oder die katzenvernarrte Hilde, Bürgermeister Arne und Großgrundbesitzer Gombrowski stehen einer Jugend gegenüber, die sich vom Großstadtleben entfernen will. Vogelschützer, Pferdebesitzer, Aussteiger – hier treffen so viele, unterschiedliche Temperamente aufeinander, Sichtweisen auf das Leben und die Gesellschaft, dass jeder Leser sicherlich einen Charakter haben wird, in dem er sich zumindest ansatzweise wiederfinden kann. Von Anfang an haben Juli Zehs detailreiche Schilderungen von Unterleuten und den Bewohnern es mir einfach gemacht, mich in der Story zurechtzufinden, selbst wenn man mal kurz den Überblick über die einzelnen Personen verliert. In diesem Buch steckt ein solches Ausmaß an Gesellschaftskritik, das sich durch die Thematik der Windräder, die das Dorf spalten, offenbart, dass es mir schwer fällt, alles zu verdauen. Wer an dieses Buch rangehen will, sollte schon genügend Zeit einplanen, um sein eigenes Weltbild immer wieder zu überdenken, um die Bewohner Unterleutens nachzuvollziehen und den Ernst der Lage zu erkennen, die sicherlich stellvertretend für einige deutsche Dörfer steht. Mich hat “Unterleuten” sehr nachdenklich gestimmt, gerade durch die kurzen, knappen Sätze, die in sich nicht viel Gefühl beinhalten, dabei aber wieder einmal eine drückende Schwere im Leser erwecken, die noch Tage später greift. Auf eine einzigartige Weise, für die ich jedes Mal wieder dankbar bin, hat es Juli Zeh geschafft, mich mit diesem Roman zu berühren und zum Nachdenken anzuregen. “Unterleuten” ist sicherlich nichts für zwischendurch, und auch nichts für schwache Gemüter. Es ist kein “Friede, Freude, Eierkuchen”-Buch. Man wird als Leser gefordert, erhält aber auch einen wunderbaren Roman, der so schnell nicht in Vergessenheit gerät und für einige Diskussionen gut ist.
HEIDIZ, 14.03.2016
Tolle gesellschaftskritische Komödie, die schon ein Thriller ist ...
Juli Zeh – ich hatte schon immer vor, einmal eines ihrer Bücher zu lesen … „Unter Leuten“ ist nun das erste Werk aus ihrer Feder, welches ich mir zu Gemüte geführt habe … Ich möchte berichten, wie es mir gefallen hat … Daten zum Buch: ============ • Gebundene Ausgabe: 640 Seiten • Verlag: Luchterhand Literaturverlag (8. März 2016) • Sprache: Deutsch • ISBN-10: 3630874878 • ISBN-13: 978-3630874876 • Größe und/oder Gewicht: 14,9 x 5 x 22,2 cm PREIS: 24,99 Euro Inhalt: ==== Die Geschichte spielt in Brandenburg – in einem kleinen Dörfchen vor den Toren Berlins. In Unterleuten gibt es zahlreiche Originale, unberührte Natur und seltene Flora und Fauna – was kann schöner sein ??? Aber … Es gibt bald Streit – hinter der idyllischen Fassade entwickelt sich aus Bösem etwas ganz Schreckliches. Ein Windpark soll gebaut werden. Eigentlich wollen Menschen aus der Großstadt hier idyllisch leben – fernab vom Stress und doch scheitern sie irgendwann, können ihre Träume nicht verwirklichen. Provinz und Großstadt treffen aufeinander – kann das gut gehen. Die Städter kaufen sich die alten Villen und wollen hier fernab des Stresses der großen Stadt idyllisch und ruhig leben. Eigenes Interesse trifft auf Moral – gibt es Moral überhaupt noch? Werden die eigenen Interessen allem voran gestellt? Dann bricht die Hölle los in Unterleuten … Zahlreiche Verwicklungen zurück in die DDR-Zeit sind es, die u.a. das Buch so spannend werden lassen, aber es ist auch die Art und Weise, wie die Autorin ihre Idee zu Papier bringt. Unsere Gesellschaft ist praktisch der authentische Aufhänger zu dieser spannend reizvollen und brisanten Geschichte. Da kann man viel draus machen – und das hat Juli Zeh gemacht – zu 100 Prozent. Ich bin vollkommen überzeugt von der Geschichte – noch immer in ihrem Bann und könnte mir sehr gut eine Verfilmung vorstellen. Die Figuren konnte ich mir schon beim Lesen sehr gut vor dem geistigen Auge vorstellen und die Handlung ist sehr bildhaft beschrieben – Charaktere und Szenen sind nicht bruchstückhaft, sondern detailliert dargestellt. Die Autorin geht überhaupt sehr in die Tiefe, ohne langatmig zu erscheinen, sondern sie baut ständig neue Spannung auf und hat mich damit vollkommen an das Buch gefesselt. Man nimmt Juli Zeh das Geschriebene ab, so könnte es passiert sein – irgendwo in Brandenburg – vor den Toren Berlins oder anderswo. Keine Angst vor den mehr als 600 Seiten – die lesen sich flüssig und absolut angenehm – kurzweilig und spannend von Beginn bis Schluss.
Nathalie Schaffer, 08.03.2016
Sehr empfehlenswert
Als ich von diesem Buch erfuhr, war mir sofort klar, dass ich dieses lesen muss. Ich brauchte beim Lesen zwar eine Weile bis ich in das Buch „hineinfand“, doch plötzlich wollte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Ich bin fasziniert, wie die Autorin die Geschehnisse des Dorfes aus den verschiedenen Sichtweisen der alteingesessenen und neu zugezogenen Dorfbewohner erzählt. Beim Lesen konnte ich mich dadurch gut in die unterschiedlichen Charaktere hineinversetzen, versuchte mir aus der Sicht des einen Gedanken über den anderen zu machen und stellte mir vor, wie ich selbst reagieren würde. In Juli Zehs Roman steckt sehr viel Wahrheit über die heutige Gesellschaft. Es ist erschreckend zu sehen, wie schnell ein Mensch in Verruf geraten kann, weil jemand glaubt die Wahrheit über den anderen zu kennen und wie einfach Menschen in ihrem Denken und Handeln beeinflussbar sind. Einige behaupten, das Beste für alle zu wollen und verfolgen letztendlich doch nur ihre eigenen Interessen. Zusammengefasst: Ein spannendes, erschreckend gutes Buch!
Silke Schröder, hallo-buch.de, 08.03.2016
Eine turbulente Geschichte aus der Provinz voller spannender Augenblicke.
Die Vorlage für ihren neuen Roman “Unterleuten” fand Juli Zeh, wie sie selbst schreibt, auf der Panorama-Seite von Spiegel-Online. Viele der beschriebenen Personen und Orte gibt es wirklich, wenn auch nicht alle unter ihrem richtigen Namen. In ihrer Story geht es um Berliner Aussteiger, die von der großen Stadt die Nase voll haben und jetzt das scheinbar idyllische Landleben genießen wollen. Und die in ihrer Selbstgerechtigkeit wenig sensibel mit den Alteingesessenen umgehen und kaum einen Fettnapf auslassen. Doch Zehs Blick hinter die Kulissen der Dorfidylle zeigt, dass es hier – oh Wunder – ebenso ums Networking und den kleinen persönlichen Vorteil geht, wie in der großen Metropole. Wer kungelt mit wem und wer will wem schaden? Wer war schon zu DDR-Zeiten systemtreu und wer ist bis heute Wende-Gewinner oder -Verlierer? Wem geht es um das vermeintliche Gemeinwohl, wer agiert aus puren Eigennutz? Minutiös beschreibt Julie Zeh in ihrem gelungenen Gesellschaftsroman, wie in Unterleuten die üblichen nachbarschaftlichen Grabenkämpfe toben, während die Ex-Städter erst nach und nach die Macht der örtlichen Seilschaften erkennen lernen. Und wo es ersteren um Bio, Umwelt und Naturschutz geht, denken die Eingesessenen über wirtschaftliches Wachstum und den eigenen Gewinn nach. Juli Zeh zeigt aber auch, wie lang die Konfliktlinien zwischen alten DDR-Konformisten (oder auch überzeugten Anhängern) und denjenigen sein können, die es schon immer eher mit der Privatwirtschaft hatten. In knappen Kapiteln erzählt sie ihren Roman aus der Sicht ihrer verschiedenen Figuren und entwickelt in der kurzen Zeitspanne ihrer Geschichte eine überzeugende Story über lebensverändernde Erfahrungen, die sich sich wie ein Thriller liest. Eine ebenso turbulente wie authentische Geschichte aus der tiefen Provinz, mitten aus dem Leben und voller spannender Augenblicke.
Inga Küpfer, 29.02.2016
Juli Zeh's wunderbare Spiegelung der Gesellschaft nicht nur in Unterleuten
Mit Unter Leuten ist Juli Zeh ein gut geschriebener Gesellschaftskritker gelungen. Manchmal verliert sich die Autorin in zu genauer Beschreibung, was den Roman stellenweise langweilig erscheinen lässt. Ich bin mir sicher, dass hier die Vorlage zu einem wunderbaren Film gegeben wurde!
Sigrun Klüger - "Kulturette", 31.01.2016
Juli Zeh: UNTERLEUTEN - Zusammenprall von Lebenswelten - Vorsicht Spoiler
Juli Zeh ist ein wirklich großer Gesellschaftsroman gelungen, in dem sie über die Gegenwart schreibt, die sie als das „Zeitalter bedingungsloser Egozentrik.“ bezeichnet, denn: „Wenn der Glaube an das Gute versagte, musste er durch den Glauben an das Eigene ersetzt werden.“ (S. 614) Sehr klug und ebenso beeindruckend wie spannend und unterhaltsam geschrieben, möchte man beim Lesen keinen einzigen Satz verpassen!
Carmen Rapp, 06.01.2016
Ein großer Wurf
Mit "Unterleuten" hat Juli Zeh einen grandiosen Gesellschaftsroman ganz im Stil der großen Amerikaner geschrieben. Wohl nicht ganz zufällig heißt dann auch eine ihrer Hauptfiguren Franzen. Auf 635 Seiten tauchen wir in das Leben der "Unterleutener" ein und erfahren dabei eigentlich viel über uns selbst und unsere Gesellschaft. Klug konstruiert, spannend und unterhaltsam, wird jede Seite zum Genuss. Nach diesem Buch fiel es mir erst einmal schwer, eine adäquate Folgelektüre zu finden.
KinderLeseWunder, 08.08.2021
Juli Zehs skurrile Romanwelt die doch so ähnlich in vielen Dörfern Deutschlands zu vermuten ist
Unterleuten von Juli Zeh, mit seinem zweideutigen Titel, der zum Einen den Namen eines fiktiven Dorfes in Brandeburg meint, zum Anderen ein Bild zwischenmenschlicher Beziehungen verspricht, bietet darüber hinaus dem Leser eine Auseinandersetzung mit den heute zum guten Ton gehörenden Umweltschutzmaßnahmen und sehr viel Tragikomik. Trotz oder genau wegen der vielen eher unsympathischen Charakteren hatte ich mit diesem Lesestoff viel Spaß. Für meine Lesegewohnheit schaffte Juli Zeh den Spannungsbogen durchgehend zu halten, obwohl die ersten beiden Wechsel zwischen den Figuren mich doch überraschten. Im Laufe des Romans habe ich diesen Kunstgriff zu schätzen gelern. So wurden dem Leser Geheimnisse enthüllt, die sonst nur ein allwissender Erzähler hätte präsentieren können. Bei einer solche Erzählform wärewahrscheinlich der Aufbau der Spannung durch die erst nach und nach überaus präzise dargestellten Beweggründe der einzelnen Figuren auf der Strecke geblieben. Am Ende des Buches hatte Juli Zeh für jede Figur meine Empathie geweckt und unsere individuelle Welt der Halbwahrheiten bloßgestellt, bei der wir uns alle mit unseren Handlungen im Recht wähnen und nur deshalb unseren Schlaf finden. Bei der Darstellung des Dorflebens durch die Autorin wusste ich zeitweise nicht, ob ich froh sein sollte, in der Stadt zu leben oder Juli Zeh und ihre Figuren um ihr Landleben beneiden. Im einem Dorf, wie im Roman dargestellt, ist man nie allein. Man ist immer „Unter Leuten“. Die Menschen halten, für einen Aussenstehnden teils durch unsichtbare Bande der Vergangenheit, zusammn. Beispielsweise auf der Suche nach einem verschwunden Kind ebenso wie beim Versuch ein Projekt zu verhindern Das Objekt der Eskalation der Jahrzehnte schlummernder Konflikte und die Störung des beschaulichen Alltages mit seinen kleinen Intrigen sind Windräder, die in der Landschaft von Unterleuten aufgestellt werden sollen. Sie bringen neben der erneuerbaren Energie für das deutsche Stromnetz dem Dorf Unterleuten Steuereinnahmen und dem noch zu ermittlenden Besitzer des Landstückes, auf dem der Winpark stehen wird, jahrzehntelange Prämienzahlungen. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Zuschlag ebenso wie der Versuch, das Ganze zu verhindern, beginnt. Die Tragikomik des Romans ist in den Schicksalschlägen der Figuren, sowie deren teils skurrilen Verhaltensweisen zu finden. Eine junge Frau, die ihr komplettes Leben nach einem Bestseller ausrichtet, welcher ihr die Macht verspricht Herrin über ihre Mitmenschen zu sein. Ein alter Kommunist, der eine Gruppe von Dorfbewohnern um sich gescharrt hat und überall Reden über dumme Politiker und den verdorbenen Kapitalismus schwingt. Ein Großbauer mit seiner ihm zum verwechseln ähnlich sehenden riesigen Hündin in seinem überdimensionierten Haus mit einem Koikarpfenteich, der eine Freundschaft mit seiner Nachbarin pflegt, die Angst davor hat sich unter freiem Himmel aufzuhalten und mit ihren über 20 Katzen ein kleines Haus teilt. Ein Ehepaar, das aus Berlin nach Unterleuten gezogen ist, um ihren ganz persönlichen Garten Eden aufzubauen, welcher durch den kürzlich aus dem Koma erwachten Nachbarn gestört wird, der Tag und Nacht in seinem Garten Reifen verbrennt und das Ehepaar langsam ausräuchert und einigen Figuren mehr. In dieser komplexen Romanwelt mit den schrägen Figuren und einem ebenso schrägen Ende habe ich mich als Leserin sehr bequem eingerichtet und war über das Auslesen des Buches enttäuscht. Mit diesem Gesellschaftsroman ist Juli Zeh meiner Meinung nach eine glaubwürdige, ungewöhnliche und spannende Geschichte gelungen, die mich wieder mehr erkennen lässt, wie komplex und unvorhersehbar die menschliche Psyche ist und wie wichtig das Verstehen des Einzelnen ist, um eine Katastrophe abzuwenden. Juli Zehs überzeugender Schreibstil ist das I-Tüpfelchen des Romanes. Das Buch stelle ich definitiv in mein analoges Regal und werde es gewiss wieder in die Hand nehmen.
miss_lia48, 16.02.2019
Ein etwas ruhigeres Buch, dem die Tiefe etwas fehlt
INHALT: Die Einwohner des irgendwo in Brandenburg angesiedelten Dorfes "Unterleuten", stehen Kopf. Bisher gab es in ihrem kleinen Ort weder Geschäfte, Ärzte, Schulen, oder gar eine Kanalisation. Und nun soll ausgerechnet eine große Windkraftanlage vor ihren Augen errichtet werden! Während sich die einen strikt dagegen wehren, um die ländliche Idylle zu wahren, gibt es andere, die ihren Nutzen daraus ziehen wollen. Jeder sieht sich im Recht. Und so dauert es nicht lange, bis alte Streitereien wieder ans Tageslicht gelangen... MEINUNG: Mit "Unterleuten" hat Juli Zeh einen vielschichtigen Gesellschaftsroman geschrieben. Dabei wirft der Leser einen Blick hinter die Kulissen. So wird das Buch aus den verschiedenen Perspektiven einiger Dorfbewohner geschildert: Naturschützer, Landwirte, Investoren, Eingesessene, Hinzugezogene - jeder hat seine eigene Sicht auf die Dinge. Durch die vielen Perspektiven ist es nicht unbedingt ein Buch, das man nebenbei lesen kann, man muss sich schon etwas konzentrieren, um die Beziehungen und Absichten der Dörfler zu erkennen. Gleichzeitig lebt das Buch regelrecht von den verschiedenen Blickwinkeln, wodurch das Dorfgeschehen von unterschiedlichen Seiten betrachtet werden kann und dabei anschaulich beschrieben wird. Zudem kommt dadurch ein bisschen Schwung in die Handlung, so dass Längen - die es für mich schon häufig gab - glücklicherweise nie all zu lange anhielten. Mir persönlich blieb die Geschichte trotzdem inhaltlich ein bisschen zu ruhig, was natürlich immer eine Frage des persönlichen Geschmacks sein dürfte. Die zum Teil sehr gegensätzlichen Lebensweisen und Ansichten der Einwohner, boten schon von sich aus einiges an Konfliktpotential für den Verlauf der Geschichte. Dabei wirkten die verschiedenen Charaktere auf mich stets authentisch und ihr Handeln nachvollziehbar. Während ich bei "Neujahr" von dem Blick in die Vergangenheit absolut begeistert war, weil mich dieser so mitgerissen hat, hat mir hier bei "Unterleuten" die Tiefe gefehlt. Ich hätte mir gewünscht, dass mich das Buch beim Lesen auch emotional erreicht hätte, was hier leider eher selten der Fall war. Fazit: Ein vielschichtiger Gesellschaftsroman für Leser, die ruhigere Handlungen zu schätzen wissen. Viele interessante Blickwinkel und authentische Charaktere sprechen für das Buch. Längen blieben zum Glück nie all zu lange bestehen. Leider hat mich das Buch persönlich jedoch emotional kaum berührt. 3,5-4/5 Sterne
buecherweltentdecker, 08.07.2018
Der ganz normale Wahnsinn
„Je mehr ich erfuhr, desto stärker erinnerte mich die Geschichte an mein Lieblingsspielzeug aus Kindertagen, ein rotes Kaleidoskop, in dem man Muster aus winzigen bunten Perlen betrachten könnte. Man dreht ein wenig, und alles sah anders aus. Ich konnte stundenlang hineinsehen. Eine Geschichte wird nicht klarer dadurch, dass viele Leute sie erzählen.“ - Seite 629 Dieses Zitat fasst eigentlich schon ganz gut zusammen, worum dieses Buch im Groben und Ganzen handelt - um Missverständnisse und die Komplexität vieler kleiner Dinge. Die Kapitel sind immer aus der Sicht eines Dorfbewohners von Unterleuten geschrieben und so lernen wir diese zunächst mit all ihren Wünschen, Absichten und Zielen kennen. Ich finde die Charakterbeschreibung von Juli Zeh sehr ausführlich, was mir jedoch sehr gut gefällt. So lernt man auch die Macken kennen, muss ab und zu schmunzeln und hat ein unfassbar einprägsames Bild der Protagonisten. Zu dem vermitteln die einzelnen Protagonisten perfekt dieses Dorfflair. Die Autorin spielt hier zwar mit Klischees, aber wenn man selbst vom Dorf kommt, muss man feststellen wie gut das doch eigentlich zutrifft. Trotz der einprägsamen Charakterbeschreibung ist jedoch auch noch eine Übersichtskarte in der Klappenbroschüre beigefügt, die dazu beiträgt nicht den Überblick zu verlieren. Im Anschluss kommt es zu einer Situation, die sozusagen alles ins Rollen bringt. Es bauen sich neue Beziehungen unter den Bewohnern auf bzw. werden alte Beziehungen im Laufe der Geschichte genauer erläutert. Und so setzt sich ein Puzzle aus Aktion und Reaktion zusammen, was Juli Zeh meiner Meinung nach hervorragend gelungen ist. Sie spielt mit Klischees, lässt Kompromisse entstehen und am Ende artet alles aus. Dieses Buch hat mich super unterhalten, aber auch zum Nachdenken anregt. Es gibt nicht immer nur eine Sicht - man sollte immer versuchen alles zu beleuchten und sich in andere Leute hineinzuversetzen. Empathie und Kommunikation ist das was und allen irgendwie noch fehlt.
Büchermadl, 17.06.2018
Toller Gesellschaftsroman
Rezension zu -Unterleuten- Zum Buch Autorin: Juli Zeh Verlag: btb Verlag Erscheinungsdatum: September 2017 Buchlänge: 656 Preis: 12,00 € in Deutschland Auszeichnungen: Rauriser Literaturpreis, Hölderlin Förderpreis, Ernst-Toller-Preis, Carl-Amery-Literaturpreis, Thomas-Mann-Preis, Hildegard-von-Bingen-Preis. Klappentext Mit dem Dorf stimmt was nicht. Ganz massiv. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf in Brandenburg wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten. Doch hinter den Fassaden der kleinen Häuser brechen alte Streitigkeiten wieder auf. Und obwohl niemand etwas Böses will, geschieht Schreckliches. Rezension Unterleuten war mein erster Roman von Juli Zeh und ich war sehr gespannt darauf. Über die Bücher, der in Bonn geborene Autorin, habe ich Unterschiedliches gehört. Habe mich nach kurzer Überlegung für Unterleuten, entschieden, da sie für dieses Werk des öfteren ausgezeichnet wurde und die allgemeine Lesermeinung sehr positiv ist. In dem Gesellschaftsroman geht es um ein Dorf in Brandenburg “Unterleuten” und dessen unterschiedlen Einwohnern. Normalerweise stresst es mich immer sehr beim Lesen, wenn aus vielen Blickwinkeln und von vielen Personen erzählt wird, hier aber nicht. Ich bin sehr gut in die Geschichte hineingekommen und habe gerne die Sichtweisen, der teilweise skurrilen Charaktere gelesen. Die Personen des Dorfes könnten nicht unterschiedlicher sein, da gibt es z.B. Rudolf Gombrowski, der als ziemlich laut und grob beschrieben wird, oder Jule Fließ-Weiland, die alle Hände mit ihrem kleinen Säugling zu tun hat und auch den humpelnden Kron kann man in Unterleuten finden, der ebenfalls laute Bewohner ist meisten auf Streit aus. Die Personen sind eine explosive Mischung und als in Unterleuten ein Windpark gebaut werden soll, prallen alle aufeinander. Der Schreibstil ist wirklich toll und angenehm, das Buch lässt sich dadurch sehr leicht und auch schnell lesen. Immer wieder habe ich während des Lesens Parallelen zu meinem Umfeld und zu der Gesellschaft im allgemeinen gezogen. Ebenfalls habe ich des öfteren überlegt, wie weit ich gehen würde, um meine persönlichen Ziele zu erreichen. Fazit Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und es hat mich auch stark zum Nachdenken angeregt. Das wird nicht mein letztes Buch von Juli Zeh gewesen sein, ich will unbedingt mehr davon.
Grenzenlos, 29.05.2018
Dorfleben
Unterleuten ist ein klingender Name für einen Ort, in dem es brodelt und in dem man sich unter Leuten befindet, die einem nicht nur wohlgesinnt sind. Sie spielen alle das Spiel namens Dorfleben. Eine kleine Auswahl von Menschen, die beschlossen haben, am selben Platz zu leben. Mit einem ungefälschten Blick auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und für unwissende Zuschauer unverständlichen Dynamiken, die in so einer Gemeinschaft entstehen, schafft es Juli Zeh einen Gesellschaftsroman vorzulegen, der Menschenstudie und Krimi zugleich ist. Erzählt wird aus der Sicht unterschiedlicher Dorfbewohner und -bewohnerinnen. Alteingesessene und neuzugezogene, junge, alte, Frauen und Männer. Man muss dranbleiben, um nicht den Überblick zu verlieren, wer jetzt mit wem und warum und was hat das alles im Großen und Ganzen zu bedeuten. Man bekommt einen gutes Gespür dafür, wie unterschiedlich Menschen Gegebenheiten wahrnehmen, wie viele unterschiedliche Gefühle durch Ereignisse hervorgerufen werden können. Die Geschichte ist keine leichte Kost. Viele der Charaktere sind sehr unsympathisch, wurden jedoch komplex aufgebaut und authentisch dargestellt. Die Geschichte ist unangenehm. Man spürt das Brodeln und wartet darauf, dass alles bald explodiert. Wohlfühlen kann man sich dabei nicht, es löst ein inneres Unbehagen aus, das zu keinem Zeitpunkt beim Lesen aufhört. Die Geschichte hinterfragt Einstellungen und Werte. Und nichts bleibt verschont. Dazu gehören Familie, Freundschaften, Politik, Zusammenhalt, Macht, Geld, Liebe. Die Anonymität ist nicht gegeben und viele kennen sich im Dorf seit ihrer Kindheit und das macht es nicht immer einfacher. Für mich, als jemand, der im Dorf aufgewachsen ist, war es trotz beklemmendem Thema eine doch auch lustige und unterhaltsame Geschichte, in der ich vieles wieder erkannt habe und die zum Schluss nochmal einen draufsetzt, durch das man das Ganze aus einem anderen Blickwinkel betrachten kann. Der Blick hinter die Fassade der Menschen war für mich sehr bereichernd, auch wenn ich solchen Machtspielen, wie sie hier dargestellt wurden, nichts abgewinnen kann. Dieses Buch ist für anspruchsvolle Leser eine Traumlektüre!
Eli`s Bücherecke, 28.05.2018
Sehr spannendes Buch!
Chapeau! "Unterleuten" ist nicht nur ein bemerkenswertes Buch; es ist ein Appell für Respekt, Toleranz und Empathie. Juli Zeh gelingt es meisterhaft die Zerrissenheit der deutschen Gesellschaft zu porträtieren, ohne dabei in billige Sterotype abzugleiten. Ganz im Gegenteil - sie bietet einen individuellen, zu Teilen feinfühligen Einblick in die Seele der Protagonisten. Die Brandenburger Einöde ist dabei der ideale Ort all den Widersprüchen unserer Gesellschaft einen Raum und letztlich ein Schlachtfeld zu geben. Hier trifft West auf Ost, Jung auf Alt, Verbohrt auf Idealistisch, digital auf analog, Liebe auf Hass und am Ende Glück auf Drama. All diese Gegensätze in eine ländlicher Idylle zu transportieren, scheint bereits der erste Widerspruch zu sein. Juli Zeh versetzt den Leser in die individuelle Sichtweise der Akteuere. Bei jedem Einblick in die Gedankenwelt wird erstaunlicherweise aus der jeweiligen individuellen Sicht klar und nachvollziehbar, warm sie so handeln; in der Summe der Individuen fehlt aber letztlich der Gemeinschaftsgeist - der perfekte Boden für ein Drama ... Der Schreibstil ist locker, frei von überflüssigen intellektuellen "Sprech" und damit wenig anstrengend; das Cover ist schlicht, aber irgendwie für den Ort und die Akteure passend. Sehr empfehlenswert, es könnte sicher nicht schaden, solche Bücher im Schulunterricht einzubinden.
Erik Pischel, 09.05.2018
Rezension: „Unterleuten“ von Juli Zeh
Juli Zehs Roman spielt im Jahr 2010 in einem (fiktiven) Dorf mit dem sprechenden Namen Unterleuten in der Ostprignitz, Brandenburg, ca. 100 km von Berlin entfernt. Der geplante Bau von zehn Windrädern am Rande des Dorfes erzeugt neue Konflikte unter den Dorfbewohnern und lässt alte Konflikte wieder aufbrechen. Aus der Sicht von gleich elf Personen treibt die Autorin die Handlung voran. Dies gelingt ihr sehr gut. Ich fand den Roman in weiten Teilen spannend. Es gibt nur wenige Stellen, in denen die Handlung etwas abflaut. Für mich immer ein willkommende Gelegenheit, das Buch beiseite zu legen und mich auch mal anderen Dingen zu widmen. Gefallen hat mir, dass die erzählenden Personen auch in ihrem Innenleben und in ihrer „Lebensphilosophie“ beschrieben werden. So habe ich eine Bandbreite von „Wie man das Leben sieht“ und „Wie man durchs Leben kommt“ kennen gelernt. Bei den alteingesessenen Dorfbewohnern sind vor allem Rolf Gombrowski und Kron hervorzuheben. Gombrowski hatte die damalige LPG geleitet und sie nach der Wende in eine Nachfolgeorganisation hinüber gerettet. Sie gibt Bewohnern Arbeit und unterstützt Einrichtungen des Dorfes wie Kindergarten und Feuerwehr. Daher sieht sich Gombrowski permanent im Einsatz für das Dorf und die Region. Kron wiederum trauert der DDR nach und ist dem „neuen System“ äußerst kritisch eingestellt. Er lebt allein. Ich habe ihn mir als Rentner vorgestellt, aber laut unterleuten.de ist erst 56 Jahre alt. Zu den Hinzugezogenen gehören die Paar Fließ und Franzen/Wachs. Gerhard Fließ war Soziologie-Professor in Berlin und Zeit seines Lebens politisch aktiv. Mit dem neuen, eher unpolitischen Zeitgeist kann er nicht so viel anfangen. Außerdem war seine Uni-Karriere ins Stocken geraten. Daher zog er mit seiner ehemaligen Studentin und jetzigen Ehefrau Jule aufs Land und wurde Vogelschützer. Linda Franzen ist „Pferdeflüsterin“ und „angehenden Super-Geschäftsfrau“. Sie verausgabt sich täglich, um endlich ihren geliebten Hengst „Bergamotte“ zu sich auf den Hof zu holen. Ihr Freund Frederick Wachs ist Software-Entwickler bei der Computerspiele-Firma seines Bruders und unter der Woche meist in Berlin. Er ist eher das Gegenteil von Linda – unergeizig und „turnschuhweich“. Die Protagonisten haben sowohl positive als auch negative Eigenschaften. Dies macht sie greifbar und das Buch realistisch. Mir hat es sehr gut gefallen. Übrigens gibt es mit unterleuten.de eine Webseite zum Buch. Auch zwei weitere, im Buch erwähnte Webseiten gibt es tatsächlich, sowie Profile von zwei Romanfiguren bei Facebook. Das Buch „Mein Erfolg“ des Management-Gurus, den Linda Franzen so verehrt und aus dem sie Merksätze zitiert, gibt es wirklich zu kaufen – sogar als Hörbuch. Die Autorin und der Verlag versuchen anscheinend, die Romanwelt und die „echte“ Welt in einander übergehen zu lassen. Hut ab.
ulliken, 25.01.2018
Dörfliche Idylle?
Unterleuten, ein kleines Dorf in Brandenburg, scheint eine bezaubernde Idylle zu sein. Nicht nur aus diesem Grund zieht es immer mehr Menschen aus dem Westen hierher. Einerseits wollen sie den Stress der Großstadt loswerden, andererseits scheinen sie aber nicht zu wissen, dass ein Dorf eine Gemeinschaft ist, der man sich anschließen muss. Dieses Dorf hat wie viele andere auch Familien, die seit mehreren Generationen dort wohnen. Bekannt ist ebenfalls, dass es eine tiefe Kluft, wenn nicht einen Krieg zwischen zwei Männern gibt, die dieses Dorf prägen. Der Roman von Juli Zeh spiel im Sommer 2010, in diesem Sommer wird von einer großen Investmentfirma geplant, einen Windpark in dieser Idylle aufzustellen. Genehmigt ist schon alles, nur der Bauplatz steht noch nicht fest. Mindestens 10 ha werden gebraucht und es gibt verschiedene Möglichkeiten. Jetzt zeigen sich die inneren schon lange schwelenden Konflikte der Dorfbewohner, die schon seit Ewigkeiten hier wohnen, zusätzlich kommen die der Zugezogenen, die nur die Hälfte von dem begreifen, was hier eigentlich abläuft. Letztendlich scheint es nur ums Geld zu gehen. Ich denke, nur die beiden Alten, die schon lange verfeindet sind, haben irgendwann den Durchblick. In Unterleuten liegt vieles in den Köpfen der Menschen verborgen und bricht aus, jeder fühlt sich im Recht und manch einer nimmt es sich - mit den falschen Mitteln. Familien brechen auseinander. Dieser Gesellschaftsroman gerät zum Drama und endet meines Erachtens auflösend. Juli Zeh hat den Roman über das soziale Gefüge dieses Brandenburgischen Dorfes in sechs Teile geteilt, die jeweils in bis zu 13 Kapitel eingeteilt sind und den Namen einer Figur tragen, aus deren Perspektive das Geschehen geschildert wird. "Unterleuten" lässt sich gut lesen, war allerdings stellenweise etwas zäh.
huckleberryfriendz, 12.01.2018
spannend erzählt
Juli Zeh beschreibt in ihrem 640 seitigen Roman den Wandel eines brandenburgischen Dorfes namens „Unterleuten“ seit der Wende, wobei vorhergehende Ereignisse ihre Schatten bis in die Gegenwart werfen. Anhand von Erlebnissen Alteingesessener und nach der Wende Zugezogener erlebt der Leser den Wandel von der Plan-, über die Unterleutener Tausch- zu der um sich greifenden Marktwirtschaft samt dem großen Ausverkauf, bei dem nahezu jeder das Beste für sich herausholen will. Schon seit jeher scheint Unterleuten ein Dorf gewesen zu sein, das nicht mit Behörden zusammengearbeitet hat und stolz darauf war, alles selber zu regeln; da fallen eigene Rachefeldzüge, kriminelle Aktionen und Selbstjustiz, Tratsch und Verleumdung gar nicht wirklich auf, sondern gehören zum ganz normalen Alltag dieses Dorfes. Soziale Verstrickungen und Abhängigkeiten beeinflussen das Taktieren seit jeher und nun, während der Planung eines Windparks, stellen sie die Gegenspieler zu skrupellosen Investoren dar, beim Wettlauf um die eigenen Vorteile, bei denen auch Zugezogene alles geben. Die Bewohner Unterleutens werden eher klischeehaft dargestellt; im Laufe des Romans lernt man sie ein wenig kennen, erfährt von ihren Schicksalschlägen, Beweggründen, Überzeugungen, von Situationen, die sie sprachlos oder gedemütigt zurückließen und veränderten, von Treue und Verrat und von Familienfehden, die sich über Jahrzehnte erstrecken. Trotz der Einblicke in ihr Leben hinterläßt keiner von ihnen einen wirklich bleibenden Eindruck bei mir. Das ist vielleicht auch gar nicht nötig, um über ihre und die eigene Moral nachzudenken und sich zum Schluß mit ihnen gemeinsam zu fragen: Hat es sich dafür gelohnt? Insgesamt wurde der Roman spannend und facettenreich erzählt; dennoch fand ich einiges schon deutlich zu langatmig und überzeichnet.
Lilli33, 07.01.2018
Intelligent erzählte Demontage einer Dorfgemeinschaft
Inhalt: Unterleuten, ein kleines, fiktives Dorf in Brandenburg, Sommer 2010. Die Vento Direct will einen kleinen Windpark in Unterleuten bauen. Je nach Grundbesitz und sonstigen Eigeninteressen sind die Dorfbewohner dafür oder dagegen. Es wird paktiert und gemauschelt, alte Rechnungen kommen auf den Tisch. Kann das idyllisch gelegene Dorf die Querelen überstehen? Meine Meinung: Mit „Unterleuten“ ist Juli Zeh ein großartiger Gesellschaftsroman gelungen. Trotz der hohen Seitenzahl ist das Buch gut zu lesen, da es in „mundgerechte Häppchen“ eingeteilt ist. Sechs große Teile sind untergliedert in kürzere Kapitel, die aus verschiedenen Perspektiven erzählt werden. So lernt man die wichtigsten Einwohner Unterleutens kennen. Durch den Perspektivwechsel wird auch meist sofort klar, dass das Bild, das jeder vom anderen hat, nicht der Realität entspricht. Man lebt schon lange unter falschen Voraussetzungen zusammen, bekriegt sich, obwohl nicht immer ein Grund dafür vorliegt, nur aufgrund eines Gerüchts oder einer falschen Annahme. Vor allem die erst kürzlich Zugezogenen tun sich schwer, die Strukturen der Dorfgemeinschaft zu durchschauen. Teils wollen sie sich anpassen und schlagen sich auf eine Seite, ohne die Folgen abschätzen zu können. Teils verfolgen sie eigene Interessen und bringen damit alles aus dem labilen Gleichgewicht. Juli Zeh hat die unterschiedlichsten Charaktere „erfunden“, und doch wirken sie sehr authentisch. Das kleine Dorf erwacht vor dem inneren Auge des Lesers zum Leben, und wer auf dem Dorf großgeworden ist, weiß, dass es dort genau so zugehen kann, wie die Autorin es beschreibt. Jeder kennt jeden, oft besser als sich selbst, auch wenn die Hälfte davon erfunden ist. Gerade bei der Entwicklung ihrer Figuren beweist Juli Zeh sehr viel Feingefühl. Die verschiedenen Eigenschaften, die Interaktionen, die sozialen Abhängigkeiten werden extrem detailliert unter die Lupe genommen. Vor allem wie man sein Gegenüber manipulieren kann, ist ein wiederkehrendes Thema. Durch eine der Protagonist*innen, die als Pferdeflüsterin arbeitet, wird immer wieder aufgezeigt, was Handlungen bewirken. Sie nimmt ihr Wissen aus dem Ratgeber „Dein Erfolg“ eines gewissen Manfred Gortz. Diesen Ratgeber gibt es auch tatsächlich, geschrieben von Juli Zeh unter dem Pseudonym Manfred Gortz. Auch eine Homepage von Unterleuten gibt es sowie eine Seite des Unterleutner Vogelschutzbundes, der im Roman eine Rolle spielt. So verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Fazit: „Unterleuten“ ist ein intelligenter Gesellschaftsroman, großartig konstruiert und fesselnd erzählt. Die Handlung ist logisch durchdacht und vielschichtig. Dabei kann man kaum vorhersehen, wie sich alles entwickelt. Ich habe mich köstlich amüsiert und war von Anfang bis Ende mit Spannung dabei.
ricysreadingcorner, 07.01.2018
Eine Karikatur der ländlichen "Idylle"
Worum geht’s? Es geht um Unterleuten, ein kleines scheinbar idyllisches Dorf irgendwo in Brandenburg und um dessen Bewohner. Da gibt es einige Alteingesessene und ein paar neu Zugezogene und natürlich gibt es alte nie gelöste Streitigkeiten und festgefahrene Strukturen. Da braucht es nur den geplanten Bau eines neuen Windparks auf Gemeindegebiet, um das, was jahrelang unterschwellig brodelte, wieder neu zu entfachen. Wenn dann noch ein paar Neue mitmischen, die glauben, die Spielregeln des Dorfes zu kennen, kann sich das zu einem echten Großfeuer entwickeln. Was nach außen hin so beschaulich wirkt, gleicht hinter verschlossenen Türen und hohen Gartenzäunen immer mehr einer Kriegszone. „Unter Leuten, die daran gewöhnt waren, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, ging es eben manchmal etwas rau zu.“ S. 152 Meine Meinung Man nehme ein kleines Dorf in Ostdeutschland, ein paar alte Dorfbewohner, die jedes Klischee von Dorfbewohnern und ein paar zugezogene Städter, die jedes Klischee von Städtern, die auf der Suche nach Ruhe und Erfüllung aufs Land ziehen, erfüllen, einen typischen reichen Spekulanten, der riesige Landstücke kauft und einen neuen Windpark, der in diesem Dorf errichtet werden soll, und schon hat man genug Konfliktpotenzial um einen großartigen gesellschaftskritischen Roman zu erschaffen. Es gibt kaum ein Klischee der deutschen Bevölkerung, mit dem die Autorin hier nicht spielt und dennoch muss man einfach so viel Wahrheit darin erkennen, dass ich immer wieder schmunzeln musste. Um kurz ein paar Unterleutener vorzustellen: Es gibt den alten Kron, einen ehemaligen Brigadeführer der Unterleutener LPG „Gute Hoffnung“ und seine Tochter Kathrin, die es für ihr Medizinstudium aus Unterleuten weg schaffte und doch wieder zurückkehrte, und dort nun wieder mit ihrer verzogenen kleine Tochter „Krönchen“ und ihrem Ehemann Wolfi, der als Schriftsteller eher wenig erfolgreich ist, lebt. Dann ist da Bürgermeister Arne, der aus Gewohnheit und weil die Strukturen es so verlangen, immer wieder gewählt wird, der grobe Gombrowski, der früher Vorsitzender der LPG war und diese nach der Wende in die Ökologica GmbH umwandelte, durch die er ein beträchtliches Vermögen erwirtschaftete und seine stille Frau Elena sowie die Nachbarin Hilde Kessler, die eine besondere Beziehung zu Gombrowski hat und nach dem vermeintlichen Unfalltod ihres Mannes mit unzähligen Katzen zusammenlebt. Einige Vorkommnisse, über deren wahren Hergang sich nur spekulieren lässt, haben dazu geführt, dass zwischen Kron und Gombrowski seit Ewigkeiten ein mal mehr und mal weniger offener Konflikt herrscht, in dem fast das ganze Dorf irgendwie involviert ist. Die Neuzugezogenen sind zum einen Gerhardard Fließ, seine Frau Jule Fließ-Weiland und ihr Säugling Sophie. Gerhard war Soziologie Professor in Berlin und Jule seine Studentin. Dem Stadtleben überdrüssig zogen sie in der Hoffnung auf Ruhe und Idylle nach Unterleuten, wo Gerhard nun beim Vogelschutzbund arbeitet vor allem dafür zuständig zu sein scheint, allen möglichen Bauvorhaben Steine in den Weg zu legen. Ganz neu in Unterleuten sind Linda Franzen und ihr Lebensgefährte Frederik Wachs. Während der zurückhaltende Frederik als Programmierer in der erfolgreichen Browserspiel-Firma seines Bruders arbeitet und von Unterleuten scheinbar am liebsten sein Arbeitszimmer sieht, werkelt die tatkräftige Linda unermüdlich an ihrem sanierungsbedürftigen neuen Heim, im Dorf als Villa Kunterbunt bezeichnet, herum und versucht alles in die Wege zuleiten, um ihr geliebtes Pferd Bergamotte für die Zucht nach Unterleuten holen zu können. Dafür braucht sie Wiesen, Ställe und Zäune, die natürlich alle erstmal genehmigt werden müssen. Zum Glück ist sie als Equidentrainerin so erfolgreich darin andere Wesen davon zu überzeugen, nach ihrem Willen zu tanzen, dass sie diese Fähigkeiten auch auf den Umgang mit Menschen überträgt. Viele weitere Bewohner Unterleutens, die ebenfalls mehr oder weniger große Rollen spielen, wurden nun noch gar nicht erwähnt und doch wird schon deutlich, dass Juli Zeh mit den Charakteren in ihrem Roman viele Rollen einer typischen kleinen Dorfgemeinschaft abdeckt. Zudem sind diese Charaktere, wie bereits gesagt, wandelnde Klischees in ihren Rollen. Und gerade das macht diesen Roman für mich so besonders. Es sind keine tiefgründigen, authentischen oder gar facettenreiche Charaktere, obwohl sie durchaus alle besondere Geschichten haben, und dennoch schafft die Autorin es, dass man sich durchgehend vorstellen kann, dass so etwas genau so ablaufen wird. Weil sie damit einfach eine unterhaltsame und dennoch nachdenklich stimmende Karikatur der Wirklichkeit erschafft. Man kann irgendwie nicht verstehen, dass die Leute sich in einer solchen Situation tatsächlich so verhalten, möchte sich oft genug an den Kopf fassen und dennoch kann man es leider sehr wohl glauben. Obwohl ich anfänglich etwas brauchte, um in die Geschichte hereinzukommen und sie tatsächlich erstmal etwas zäh fand, fand dich es spannend, die ganzen Charaktere, aus deren Sicht abwechselnd erzählt wird, immer näher kennenzulernen. Schwierigkeiten sie auseinanderzuhalten, hatte ich nie, da sie alle ihre so klare Rolle darstellen. Die unterschiedlichen Perspektiven unterstreichen für mich neben den teilweise oft karikaturesken Charakteren besonders die Aussage des Buches. Jeder hat seine eigene Sicht der Dinge und kaum einer spricht darüber, was letztendlich das große Problem ausmacht und dem Leser das Gefühl gibt nie so richtig an den Kern der Wahrheit heranzukommen. Aber ist diese überhaupt wichtig? Will nicht jeder nur seine eigene Wahrheit glauben? Würde es etwas ändern, wenn darüber gesprochen würde und warum wird nicht darüber gesprochen? Alles Fragen die uns, wenn wir mal ehrlich sind, auch im wahren Leben immer wieder begegnen. Spätestens ab der Hälfte des Buches, nehmen dann aber auch die Ereignisse an Fahrt auf und es wird immer spannender. Der schnörkellose, einfache aber oftmals sarkastische Schreibstil unterstreicht für mich noch den Karikaturcharakter dieser Geschichte und trägt zudem zu einem schnellen Lesefluss bei. Obwohl mir kaum ein Charakter richtig sympathisch war, fieberte ich einfach mit dem ganzen Dorf mit. Dabei ist schnell klar, dass das kein gutes Ende nehmen kann. Und am Ende ließ mich der Roman dann sogar erstmal etwas sprachlos zurück… Fazit Unterleuten ist für mich ein toller Roman über die Absurditäten des Spiels unseres alltäglichen Lebens und unserer Gesellschaft und die Gefahren die diese bergen können, obwohl jeder doch eigentlich nur das Beste will. Obwohl mir die Story manchmal etwas langatmig vorkam muss ich am Ende sagen, dass nichts zu viel war. Der Klappentext macht allerdings Hoffnung auf eine Spannung die für mich erst spät im Roman einsetzte. Da es sich meiner Meinung nach dennoch um eine sehr gelungene Gesellschaftskritik handelt, gebe ich eine klare Leseempfehlung!
Frau Lehmann, 11.12.2017
Dörfliches Idyll
Unterleuten ist ein fiktives Dorf irgendwo in Brandenburg. Idyllisch gelegen, nicht zu weit entfernt von Berlin. Alteingesessene und nach der Wende Neuzugezogene bilden die Dorfgemeinschaft. Wobei Gemeinschaft hier sicherlich das falsche Wort ist. Und wie in jedem Dorf gibt es Wortführer und Mitläufer, Neuerer und Wahrer des Althergebrachten. Da wären Gerhard Fließ mit Frau Jule, ein ehemaliger Dozent der Humboldt-Universität, der eine seiner Studentinnen geheiratet und in einem Anflug von Lebenserneuerung eine Stelle als Vogelwart angenommen hat, um auf das entschleunigte und unverbrauchte Land zu ziehen. Dann Linda Franzen, ebenfalls neu zugezogen, die mit ihrem Freund eine alte Villa renoviert, ein Pferdemädchen mit etwas naivem Machtwillen. Schaller, der nach einem schweren Unfall sein Leben neu aufbaut und mühsam versucht, seine Vergangenheit zu rekonstruieren. Gombrowski, der Leithengst des Ortes, dessen Eltern vor der Enteignung das Land ringsum gehörte, und der mit Land und Dorf verwachsen, patriarchalisch seine Entscheidungen trifft und durchsetzt. Kron, der ewige Verlierer und Gegenspieler von Gombrowski, ebenso verwurzelt im Dorf. Arne Seidel, Bürgermeister von Gombrowskis Gnaden, der aber sein Bestes für das Dorf zu geben versucht. Und noch weitere Personen, die im Dorfgeflecht größere und kleinere Rollen spielen. Nachdem wir nun also das Personal kennen, brauchen wir einen Stein des Anstoßes, um das Dorf in Aktion zu erleben: ein geplanter Windpark vor den Toren und zwar in unmittelbarer Sichtweite. Auf dieser Grundlage nun seziert Juli Zeh das Dorfleben, fürchtet dabei kein Klischee und keine Zuspitzung. Sie läßt die Bewohner nacheinander zu Wort kommen und ihre Weltsicht und Meinung kundtun. Dabei schafft sie das eigentlich Unmögliche: jeder Einzelne hat, wenn man seine Sicht der Dinge erst einmal kennt, nachvollziehbare Gründe für sein Handeln, jeder Einzelne hat sympathische Züge und vor allem hat jeder Einzelne seine eigenen blinden Stellen, seine beschönigten Erinnerungen, seine passend verdrehten Tatsachen und Entschuldigungen. Juli Zeh schont ihre Charaktere nicht. Sie zeigt das ganze kleinliche, eigensüchtige, egozentrische Denken der Dorfbewohner, die Versuche, hehre Ideen auf schlicht neidische oder egoistische Handlungen aufzupfropfen, die Versuche, die Vergangenheit dem eigenen Wunschdenken anzupassen und dem Gegenüber als alleinige Wahrheit aufzudrängen, und sie zeigt, dass eine kollektive Erinnerung trotzdem die Summe der Erinnerungssplitter eines jeden Einzelnen ist. Und wer sich dabei an sein eigenes Umfeld erinnert fühlt, hat den Sinn des Romans wohl erkannt. Denn unter Leuten ist man überall, jedes Dorf, jeder Verein, jede Gemeinschaft oder Versammlung funktioniert so. Weil Menschen eben so sind, weil eben jeder seine egoistischen kleinen Ideen gerne mit einem höheren Sinn verbrämt, weil das Gras auf der anderen Seite des Zaunes meistens grüner ist und die Bäume dort mehr Äpfel tragen, weil man selbst gerne am besten weiß, wie die Dinge laufen müssten, damit die Welt ein schönerer Ort ist und ebenso gerne vergisst, dass ein „schönerer Ort“ von jedem anders definiert wird. Neben all dem ist „Unterleuten“ aber auch ein unterhaltsam geschriebener Roman, der trotz seiner immerhin 640 Seiten spannend bleibt bis zum Schluß. Ein Roman, der zwar Klischees nicht scheut, aber niemals auf „Gartenzwerge“-Niveau fällt, der Idylle zwar zeigt, aber nur um sie danach zu dekonstruieren. Ein definitiv lesenswertes Buch für alle, die „Unter Leuten“ leben.
Annette Traks, 03.05.2019
Ein höchst interessantes Buch
Das fiktive 200-Seelen Dorf Unterleuten in Brandenburg ist von außen betrachtet eine Idylle: Es liegt mitten in der Natur, in der es auch noch seltene Vogelarten gibt, und überwiegend kleine Häuser prägen das Bild. Die umliegenden Orte tragen so klangvolle Namen wie z.B. Seelenheil, Wassersuppe, Regenmantel, und einige Alteingesessene sind echte Originale. Viele Großstädter - vor allem Berliner - wollen dort fernab aller Hektik einen Neuanfang wagen und Dinge tun, von denen sie bislang nur träumen konnten. Doch sie müssen bald feststellen, dass es im vermeintlichen Paradies auch Probleme gibt, und es dort gelegentlich zu eng sein kann. Obwohl Berlin nur ca. eine Stunde entfernt ist, scheint Unterleuten "hinter dem Mond" zu liegen. Haben die Dörfler ihre Probleme bislang unter sich gelöst - meist vor dem Hintergrund der Frage, wer wem einen Gefallen schuldet -, so gerät die verkrustete Gemeinschaft nun gefährlich aus dem Gleichgewicht: Ein gewinnträchtiger Windpark soll gebaut werden. Da kommen plötzlich doch wieder alte Animositäten zwischen den "Ureinwohnern" hoch, und der Gegensatz zu Ansichten und Mentalität der Zugezogenen sorgt für zusätzliche Konflikte. Kein Wunder, dass sich im Laufe der Zeit das vermeintliche Paradies immer mehr zur Hölle entwickelt. Resümee: Der Roman besteht aus VI Teilen und insgesamt 62 kurzen Kapiteln, in denen die jeweiligen Protagonisten - Einheimische und Zugezogene - aus ihrer Sicht das Geschehen erzählen. Insgesamt gibt es ca. 20 Akteure, allesamt sehr individuelle Charaktere, mal mehr, mal weniger sympathisch. Dabei ist bar jeden Selbstzweifels jeder davon überzeugt, im Recht zu sein und das Richtige zu tun. Im Verlauf des Geschehens ändert man oft sein Urteil über die Personen - auch dadurch bedingt, dass sie in variierenden Konstellationen auftreten. Man entwickelt Verständnis für die anfangs Unsympathischen und macht Abstriche bei den zunächst als "nett" Eingestuften. Insgesamt ergibt sich ein komplexes Gesellschaftsbild, und der ein oder andere Leser wird sich und seine Mitmenschen in verschiedenen Personen wiedererkennen. Vor dem Hintergrund, dass im bislang so idyllischen Unterleuten ein Windpark gebaut werden soll, geht es um alte, bis vor Kurzem erfolgreich unterdrückte zwischenmenschliche Konflikte unter den Alteingesessenen. Die Zugezogenen sorgen für zusätzlichen Sprengstoff, denn nun geht es auch um die Themen "Ossis" vs. "Wessis", vermeintliche Wendegewinner und -verlierer und um menschliche Moral zugunsten des eigenen Vorteils. Das starre, aber bislang funktionierende "System Unterleuten" wird immer mehr aufgeweicht und gerät ins Wanken. Die romantische Vorstellung von einem idyllischen, harmonischen Landleben wird peu à peu ad absurdum geführt. Fazit: ein höchst interessantes Buch. Aber man muss sich auf die Thematik respektive Problematik und die Charaktere einlassen - sonst droht es langweilig zu werden.
Timo's Blog, 07.08.2018
Rezension: Unterleuten von Juli Zeh
Wenn in einem Buch die alte Heimat zum Ort der Handlung wird, dann vermag dies ein Grund sein es anzulesen. So ist es bei mir und dem Buch „Unterleuten“ von Juli Zeh. Es spielt im fiktiven Örtchen „Unterleuten“ im ländlichen Brandenburg. Mit „Unterleuten“ hat Juli Zeh einen unglaublich großen Gesellschaftsroman über die wichtigen Fragen unserer Zeit geschrieben. Als ich mir vorgenommen habe eine Rezension darüber zu schreiben war und bin ich grundlegend bis jetzt hin- und hergerissen, welchen Schwerpunkt in der Betrachtung ich setzen sollte. Wer einen nur unterhaltsamen Roman erwartet wird enttäuscht sein. Die Brillanz liegt hier im Detail und zwischen den Wörtern. Würde man das Unausgesprochene aufschreiben, wäre man in der Lage aus „Unterleuten“ ein weiteres Buch zu machen. Über „Unterleuten“ von Juli Zeh „Unterleuten“ liest sich im ersten Augenblick wie ein Thriller über die Moral jenseits des egoistischen Eigeninteresses. Wir müssen uns fragen, woran glauben wir. Wie hängt es zusammen, dass alle zwar nur das Beste wollen und am Ende, trotzdem etwas Schreckliches passiert? Das Dorf „Unterleuten“, an irgendeinem Ort in Brandenburg, ist die bildliche Entsprechung der Idylle. Unheil deutet sich an, als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe zur Ortschaft zu errichten plant. Es brechen Streitigkeiten auf, die lange Zeit tief im Inneren der Bewohner des Ortes schlummerten. Die Berliner Aussteiger und die ursprünglichen Dorfbewohner könnten nicht von größerem Antagonismus geprägt sein, wie es in „Unterleuten“ gezeigt wird. Zusammen mit dem untergründig schwelende Konflikt der Gewinner und Verlierer der Wende bildet sich ein ausgezeichneter Nährboden für zwischenmenschliche Katastrophen. Juli Zeh gelingt es in hervorragender Weise ein düster, realistisches Szenario zu zeichnen, dass die Hölle im Dorf ausbrechen lässt. Mein Eindruck Der Roman ist sprachlich nicht die schwerste Kost, wer einen leichten Landroman erwartet, wird aber enttäuscht sein. „Unterleuten“ zählt meiner Meinung nach zu den Büchern, bei denen es lohnt, zweimal zu lesen. Viele Facetten der Geschichte werden erst beim zweiten Gedankengang klar.Die Geschichte lebt von Ihren Figuren, aber nicht nur, sondern vor allem durch den sehr gut geschriebenen Konflikt zwischen Alt- und Neubewohnern des Dorfes. Vielleicht braucht es für den geneigten Leser eine gewisse Vorerfahrung, wie es den Menschen im Osten nach der Wende ging, aber ohne dies wird man von der Stimmung in „Unterleuten“ schnell in die Geschichte hineingezogen.Der Roman „Unterleuten von Juli Zeh ist eine Leseempfehlung wert. Und sonst so… Unter http://www.unterleuten.de können interessierte Leser mehr über den Roman erfahren. So findet man auf der Seite u.a. einen Stadtplan des fiktiven Ortes. Ebenso sind dort die Lebensläufe und Beschreibungen der Bewohner vorhanden. Die Seite erleichtert das Figurenverständnis über die Beziehungen zwischen Protagonisten und ermöglicht ein besseres Begreifen der weiterführenden Gesellschaftskritik, die sich teilweise nur zwischen den Worten wiederfindet.
Buchmafia, 15.04.2017
Moderner Gesellschaftsroman
Der hochgelobte zeitgenössische Gesellschaftsroman "Unterleuten" von Juli Zeh beschreibt authentisch das Leben in einem Dorf in Brandenburg, das auf den ersten Blick wie ein Postkartenidyll wirkt, bei näherem Hinsehen aber tiefe Probleme und viele alte Wunden hat, die im Laufe der Geschichte aufbrechen. "Unterleuten" ist aber mehr als nur ein Buch. Die Autorin hat einen hermetisch geschlossenen Schauplatz geschaffen, der dennoch die ganze Bandbreite der Bewohner der Republik widerspiegelt. Unterleuten erfuhr außerdem ein ungewöhnliches und progressives Marketing, indem der Kosmos des Buches online als website zu finden ist. Klappentext Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf "Unterleuten" irgendwo in Brandenburg. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den kleinen Häusern, die sich Stadtflüchtlinge aus Berlin gerne kaufen, um sich den Traum von einem unschuldigen und unverdorbenen Leben außerhalb der Hauptstadthektik zu erfüllen. Doch als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist … Mit „Unterleuten“ hat Juli Zeh einen großen Gesellschaftsroman über die wichtigen Fragen unserer Zeit geschrieben, der sich hochspannend wie ein Thriller liest. Gibt es im 21. Jahrhundert noch eine Moral jenseits des Eigeninteresses? Woran glauben wir? Und wie kommt es, dass immer alle nur das Beste wollen, und am Ende trotzdem Schreckliches passiert? Zahlreiche Dorfbewohner agieren in Unterleuten, ohne dass man den Überblick verliert. Manche Figuren begleitet man näher und enger als andere, wie in einer echten Dorfgemeinschaft. Es gibt ein heimliches Oberhaupt, Wortführer, Seilschaften und Bündnisse ebenso wie Neid und Missgunst. Die Echtheit und die Unmittelbarkeit, mit der die Autorin den Leser nach Unterleuten versetzt, ist beeindruckend. Man schaut den Bewohnern beim Lesen fast über die Schulter, so authentisch sind die Figuren in der Geschichte platziert. Alle haben ihren festen Platz im Beziehungsgeflecht, das empfindlich gestört wird, als das Dorf zum Fördergebiet für erneuerbare Energien werden soll. Die fragile Gesellschaftsstruktur bricht auf und Juli Zeh beschreibt mit gewohnt kühlem und distanziertem Blick den Kampf der Bewohner um ihren Platz in der Gemeinschaft, die Schwachstellen der Dorfgesellschaft, die in Aggression, offener Gewalt und im Kampf auf Leben und Tod münden. Eindrucksvoll legt die Autorin den gesellschaftlichen Niedergang dar, der subtil beginnt und von Geld- und Machtgier vorangetrieben wird, so dass letztlich jeder für sich allein stehen und kämpfen muss. Der Text ist absolut mitreißend und spannend, und mit bis ins Detail ausgefeilten Charakteren liest sich das Buch stellenweise wie ein Thriller, schockierend und ungemein unterhaltend. Juli Zeh lenkt den Blick auf gesamtgesellschaftliche Probleme ohne erhobenen Zeigefinger. Mit ihrem komplexen und nachdenklich stimmenden Gesellschaftsbild mit dramatischem und zugleich zufrieden stellendem Ende und mit der Internetseite zum Buch, dem Who-is-Who-Kosmos des Dorfes, legte Juli Zeh ein für mich herausragendes Buch vor, das sich trotz der Thematik leicht und schnell wie ein Unterhaltungsroman wegliest. Unbedingte Leseempfehlung.
Nicoles Bücherwelt, 02.02.2017
Unterleuten - Ein Dorf voller Geheimnisse
Wenn die Idylle trügt... Das kleine Dorf Unterleuten liegt mitten in Brandenburg, etwa eine Stunde von Berlin entfernt. Auf den ersten Blick findet man hier alles, was man sich unter einem idyllischen Dorfleben vorstellt: Weitläufige Grundstücke, schöne Häuschen, ländliche Ruhe, unberührte Natur mit einer seltenen Vogelart und eine Gemeinschaft, die zusammenhält. Doch diese anscheinend so friedliche Idylle trügt, denn unter der Oberfläche brodelt es gewaltig: Egal ob die Alteingesessenen oder die neu zugezogenen "Großstadtaussteiger", die sich den Traum vom eigenen Haus auf dem Land erfüllen wollen - überall gibt es den ein oder anderen Konflikt, hier und da kleine und große Probleme. Als schließlich eine Investmentfirma plant, in Unterleuten einen Windpark zu errichten, ist kurz darauf die Hölle los im Dorf- die Ereignisse überschlagen sich, lang Verschwiegenes kommt an die Oberfläche... "Er drehte sich um und stieg in den Roadster. Der gekühlte Innenraum empfing ihn mit jener sterilen Anonymität, die er so schätzte. Plötzlich hatte er den Eindruck, dass es ein Fehler war, hierherzukommen." -Seite 54, eBook Mit "Unterleuten" hat Juli Zeh einen beeindruckenden Roman geschrieben. Im Mittelpunkt steht das Dorf Unterleuten in Brandenburg - ein Ort in dem jeder jeden kennt - oder dieses zumindest glaubt. Die Geschichte beginnt ruhig, nach und nach lernt man die Bewohner kennen. Man erhält einen detailreichen Einblick in deren Leben. Ob es Sorgen, Ängste oder große Zukunftspläne sind - jeder ist mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt und glaubt, das Richtige zu machen. Dieses jedoch entwickelt sich in manchen Fällen völlig anders als geplant. Auch gibt es immer wieder kleine Rückblicke in die Vergangenheit. Gerade hier erfährt man, wie manches zusammenhängt und warum die manchmal angespannten Situationen bis heute so festgefahren sind. Was von Anfang an klar ist: Die Idylle trügt - das Dorf gleicht einem Hexenkessel. Die Autorin schildert mit packender Schreibweise, wie die Maske des Ortes fällt und dahinter einiges zutage kommt... Neben den vielen so unterschiedlichen Charakteren, die hier aufeinandertreffen, ist das fiktive Dorf Unterleuten mit seinen vielen Handlungsorten unheimlich gut beschrieben. Auf der Website www.unterleuten.de gibt es neben einer Skizze vom Dorf auch alle wichtigen Infos zu dessen Bewohnern. "Ich bin gekommen, damit du mir etwas versprichst. Halt dich aus diesen Unterleuten-Geschichten heraus. Mit dem Dorf stimmt was nicht. Ganz massiv." (Miriam) -Seite 354, eBook Mein Fazit: Ein gelungener Roman mit einem speziellen Thema. In der Inhaltsangabe stand geschrieben, dass sich "Unterleuten" so spannend liest wie ein Thriller - dieser Aussage kann ich voll und ganz zustimmen. Es ist unheimlich interessant zu verfolgen, wie die einzelnen Fäden im Laufe der Geschichte zusammenkommen und das große Drama schließlich seinen Lauf nimmt. Das Besondere und Spannende hier: Es ist völlig unvorhersehbar, wie die Geschichte zu Ende gehen könnte. Das Ende hält dann Überraschungen bereit, mit denen man so nicht gerechnet hätte... Ein sehr lesenswerter und packender Roman, der mit seinem detaillierten Schreibstil überzeugt!
Christina Brunnenkamp, 14.07.2016
Von Zentrifugalkräften im dörflichen Brandenburg
Glaubt man Rainald Grebes Brandenburghymne, die auch Eingang in Juli Zehs Gesellschaftsroman Unterleuten gefunden hat, ist Brandenburg ein Ort der Öde, der Langeweile – und der unberührten Natur. Das liegt vor allem daran, dass es wenige Einwohner hat. Letzteres kann auch von Unterleuten gesagt werden, einem fiktiven Ort mit einer Handvoll Einwohnern, mehrheitlich alteingesessenen. Schon zu DDR-Zeiten schwelten dort die Konflikte zwischen treuen Kommunisten und Regimegegnern bzw. früheren Großgrundbesitzern. Nach der Wende wurden die Karten zwar im Grunde neu gemischt – und doch blieb alles beim Alten. Im konkreten Fall Unterleuten treten gegeneinander an: Kron, Kommunist und LPG-Angestellter, gegen Gombrowski, Sohn eines Großgrundbesitzers, dessen Boden verstaatlicht wurde. Nach dem Studium der Landwirtschaft war er in die LPG eingetreten und in kürzester Zeit zum Vorsitzenden avanciert, der die LPG zurück in Gewinnzone brachte. Nach der Wende hatte er auf Anraten eines Umwandlungsberaters aus der LPG die Ökologica GmbH gemacht, um möglichst viele Arbeitsplätze zu behalten. Während Kron, der keinerlei positiven Beitrag zum großen Ganzen leistet, es versteht, einige Dorfbewohner hinter sich zu scharen und gegen Gombrowski aufzuhetzen, bleibt Gombrowski, der sich für die Gemeinschaft aufreibt, erstaunlich unbeliebt. Schon dieser organisch gewachsene Mikrokosmos ist kein Ort der Harmonie und des Friedens. Das gesellschaftliche Gleichgewicht steht zu jedem Zeitpunkt auf Messers Schneide. Doch dann kommen auch noch Zugereiste aus dem Westen hinzu und bringen es völlig aus dem Lot. Da gibt es den Weltverbesserer Gerhard Fließ, einen gescheiterten Akademiker, der mit wesentlich jüngerer Frau und Baby nach Unterleuten gezogen ist, um dort die Leitung des örtlichen Vogelschutzbundes zu übernehmen, und die Pferdetrainerin Linda Franzen, die nach Unterleuten kam, um dort eine Pferdezucht aufzubauen. Man könnte meinen, die Gemeinsamkeit, als Wessis in ein kleines ostdeutsches Dorf zugezogen zu sein, würde verbinden, doch ihre Interessen lassen sich nicht vereinen, denn Fließ will Franzen eine Weide verweigern, um seine seltene Vogelart besser schützen zu können. Auch hier also keine Harmonie. In diese explosive Mischung wird noch ein Ingolstädter Investor geworfen, der bei einer Versteigerung spaßeshalber in Unterleuten und Umgebung große Flächen erworben hat. Doch es geht erst so richtig rund, als am Rande von Unterleuten ein Windpark gebaut werden soll, damit das Dorf, dem es ständig an Geld fehlt, von der Gewerbesteuer profitieren kann. Juli Zeh hat in ihrem Roman eine wunderbare Versuchsanordnung geschaffen und dann beobachtet, wie sich die einzelnen Figuren in dieser Konstellation entwickeln, nicht nur im Verhältnis zueinander, sondern auch zu ihrem jeweiligen Partner oder anderen Familienmitgliedern. Es gibt keine eindeutige Hauptfigur, sondern der Leser erfährt sowohl die Vorgeschichte als auch den Fortgang des aktuellen Geschehens aus den verschiedenen Perspektiven der wichtigsten Figuren. Entsprechend kann er sich aussuchen, mit welcher Figur er sich am ehesten identifiziert oder ob er einfach nur als neutraler Beobachter dem bunten Treiben zuschauen möchte. In Unterleuten treffen zwei Welten aufeinander: die des 20. und des 21. Jahrhunderts. War im letzten Jahrhundert im Großen und Ganzen das Leben wenig komplex und vorhersehbar und die Identitäten so gut wie vorgegeben und recht rigide, so zeichnet sich das 21. Jahrhundert durch fast unbegrenzte Wahlmöglichkeiten aus, was für viele Menschen zur Folge hat, dass sie sich nicht entscheiden können und sich nirgends zu Hause fühlen. Wie wirkt sich diese Konfrontation nun im Roman aus? Katastrophal. Von der anfänglichen – wenngleich trügerischen – ländlichen Idylle bleibt am Schluss nur wenig übrig. Wer letzten Endes in diesem Roman zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern gehört, ist allerdings überraschend. Allein das macht diesen Roman schon extrem lesenswert. Als kleines Extra hat Juli Zeh für die Spielernaturen unter ihren Lesern noch einige Webseiten in den Roman eingebaut, die sie auch tatsächlich liebevoll hat einrichten lassen. Ein unterhaltsames Klickerlebnis.
Kerstin von KeJas-BlogBuch, 05.03.2018
Bitterböse und herrlich gut
Wer in einem kleinen Dorf aufgewachsen ist, kann es vor sich sehen. Die kleinen und feinen Unterschiede der einzelnen Menschen. Das Lächeln bei Begegnungen und das Messer im Rücken sind allgegenwärtig. Freund oder Feind, da spielt selbst eine Verwandtschaft keine Rolle mehr. So ist es auch in Unterleuten, diesem kleinen Kaff, einst in der DDR-Zone, nun „befreit“ und doch immer noch „gefangen“. Es tummeln sich einige Leute da, von alteingesessenen bis neu hinzugezogenen. alle wollen nur das Beste -für sich, weniger für die anderen. Da kommt die Sache mit den Windrädern doch genau richtig um endlich mal all das zu regeln, was Jahrzehnte am schwelen ist und so entsteht ein Flächenbrand. Rette sich wer kann, da geht was ab! Besonders die Alten fangen an, sich endlich einmal auszuleben, mit Vorliebe durch kleine, feine Gehässigkeiten, die sich im Laufe der Geschichte immer weiter steigern. Es hat irre Spaß gemacht, zu erhören was sich da entwickelt und vor allem wie die Charaktere sich so verhalten. Die liebe, nette, junge Ehefrau und Mutter, die irgendwann anfängt richtig schwere Geschütze aufzufahren. Der alte Mann von nebenan, dessen Geheimnis zwar schon ewig in aller Munde ist aber doch nie richtig zur Sprache kam. Der Städter, der so tief ins Fettnäpfchen tritt, dass er dabei arg ins Straucheln gerät. Viele weitere mehr zeigen auf, dass, wenn es um die eigene Existenz geht, alle Mittel recht sind. Lug und Betrug, ein sich gegenseitig ausspielen, Neid und Gier. Verhöhnte Liebe, alter Hass – Unterleuten hat einige zu bieten. Die Sprecherin lässt einen teilhaben – an all den Gedanken und Emotionen. Sie führt einen durch diesen Ort, dessen Vergangenheit und die Gegenwart. Die Autorin Juli Zeh hat ein absolut geniales und erschütternd ehrliches Milieu gezeichnet. Klischees die keine sind! Wie war das – es kann der frömmste Nachbar nicht in Frieden leben, wenn? Wer Ausflüge in die psychologischen und durchaus gestörten Verhaltensweisen von unzufriedenen Menschen wagen möchte, sollte auf jeden Fall nach Unterleuten. Diesen Besuch vergisst man so schnell nicht. Herrlich wie sich diese bitterböse Geschichte entwickelt und damit einen enorme Anziehungkraft ausübt, endlich alles wissen zu wollen. © Kerstin

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